Dass vom Publikum in den kommenden 100 Minuten der Uraufführung kein Mucks zu hören ist, liegt je zur Hälfte an Autor und Regisseur. Dirk Laucke hat schon einige Auftragswerke für das Deutsche Nationaltheater Weimar geschrieben, ist fast ein Hausautor – und reiht sich mit „Hannibal“ auch in die Kein Schlussstrich-Initiative von 15 Theatern ein. Aber auch die 17 finsteren Abende, in denen David Nuran Calis beim Kunstfest Weimar den NSU-Prozess szenisch nachstellte, sind ja noch keine vier Wochen her.
Allerdings packt Dirk Laucke allzu viel in sein Stück. Nachgeplapperte AfD-Parolen und Kraftmeiereien gesellen sich zu Abhandlungen über Recht, Staat, Gewalt; das betont schlicht-schlechte Deutsch, das Laucke einigen seiner Figuren mitgibt, zieht sich bis in Szenenanweisungen; das „A-Team“ wird herbeizitiert, nicht über die Welt, aber über Gott disputiert. Da war Neil LaButes demontierendes Neo-Nazi-Stück „Das vierte Reich“ (auch in Weimar, 2017) viel prägnanter.
Gerafft, zurückgenommen, radikalisiert
Regisseur Sebastian Martin hat „Hannibal“ klug gerafft und zurückgenommen. Danny (Martin Esser) lallt weniger Parolen, Schmitti (Bastian Heidenreich) und Rico sind nicht so stark als smarte-tumbe Gegensätze gezeichnet. Natürlich „sitzen“ militärischer Gruß und Gesten, werden aber weder ausgestellt noch lächerlich gemacht; strammes Seilspringen und Liegestütze stehen für soldatischen Drill. Die komischste Figur ist der Gala-Hauptmann, dem Zivil(es) sinnlos wie Schmuck erscheint und der seine Untergebenen „Gedöns“ gegen Uniform tauschen lässt. Aber in Martins Inszenierung radikalisiert sich nicht nur Rico, sondern auch das Ende des Stücks.
Regisseur und Ensemble geht es vor allem um jene jungen Männer (Soldatinnen gibt es hier keine), die glauben, bei der Bundeswehr den Platz erobert zu haben, den sie in der Gesellschaft nicht fanden. Aber – das traut Rico sich gar nicht, der Mutter zu sagen – sie gehören eben zum Kommando Spezialkräfte, und das bedeutet Afghanistan. Die Inszenierung belässt es bei wenigen lauten Knalleffekten; die wütend-hilflosen Schilderungen schmerzen viel mehr. Und danach kommt nicht nur für Rico die Wende. Sein Kamerad Liam (der nur in Worten und als Helm erscheint) muss, statt mit „Freischuss“ belobigt nach Hause zu kommen, Bewerbungen schreiben. Und Rico hat nach seiner Verwundung weder Beruf noch Wohnung und geht dem „Verein“ des Hannibal-Netzwerkes schnell und bereitwillig auf den ideologischen Leim.
Das ist, dicht und beklemmend gespielt, so folgerichtig wie fürchterlich –und stellt natürlich den Krieg an den Pranger. Aber auch die Frage, wie wir mit denen umgehen, die wir in den Krieg schicken und die das Glück haben, lebend zurückzukommen. Vor dem langen Applaus mussten die Zuschauer erst mal Luft holen.