Foto: Szene aus „Odyssey. A Story for Hollywood“ © Magda Hueckel
Text:Manfred Jahnke, am 8. April 2022
Odysseus ist ein alter Mann, als er endlich nach Ithaka zurückkehrt. Stanisław Brudny spielt das groß aus. Die verhärmte Penelope der Jadwiga Jankowska-Cieśłak starrt ihn vorwurfsvoll an, während die jungen Leute ihm kaum mehr zuhören, wenn er von all den Toten auf seiner Irrfahrt berichtet. Später sieht man ihn mit zwei Walkingstöcken auf der Bühne hin und her schlurfen, schließlich im Rollstuhl, selbst Calypso (Jaśmina Połak) vermag ihn mit ihren Sexangeboten nicht mehr zu locken. In seiner Inszenierung „Odyssey. A Story for Hollywood“ beschränkt sich der international ausgezeichnete polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski vom Warschauer Nowy Teatr auf die Heimkehr des Odysseus, ein kriegsmüder Held.
Im Zentrum dieser Aufführung steht allerdings eine ganz andere Geschichte, die Biografie der Izolda Regensberg, die Hanna Krall in ihren Büchern „Herzkönig“ und „Eine Story für Hollywood“ verarbeitet hat. Eine junge Frau, die aus dem Warschauer Ghetto entkommt und sich mit vielen Listen nach Wien durchschlagen kann, um nach sechs Jahren „Odyssee“ endlich wieder ihren Mann in die Arme nehmen zu können. Aber auch hier verläuft die Wiederbegegnung enttäuschend, zumal ihr Mann, von Mariusz Bonaszweski introvertiert angelegt, ihr stumm vorwirft, am Tod von Eltern und Geschwistern schuld zu sein. Maja Ostaszewska erarbeitet sich als „Young Izolda“ eine Mischung aus Überlebenswillen und Staunen über das, was ihr widerfährt. Ewa Dalkowska spielt die in Israel lebende „alte“ Izolda als Grande Dame, die den sehnlichen Wunsch hat, dass ihr Leben mit Elizabeth Taylor in Hollywood verfilmt werden möge.
Von Roman Polnski bis Hannah Arendt
In Gegenwart von Izolda und Taylor, von Magdałena Ciełecka mit Glamour ausgestattet, diskutieren Roman Polanski (Piotr Połak) und der Produzent (Marek Kałita). Aber das Filmprojekt scheitert. Wichtig ist die Szene, weil in ihr vorgeführt wird, wie in diesem Medium mit Erinnerung umgegangen wird. Denn das eigentliche Thema des fast vierstündigen Abend ist das Erinnern. Nicht zufällig treten mit Odysseus und der „alten“ Izolda Menschen aus einer Generation auf, die langsam aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwindet. „Ohne Erinnerungen gibt es einfach gar nichts.“, sagt Warłikowski in einem Interview zu seiner Inszenierung. Es geht ihm nicht nur um die Erinnerungen des Odysseus oder der Izolda an den Krieg – hier wird die Aufführung bedrängend aktuell –, sondern auch um darin eingebundene, prägende Momente einer Biografie und ihre Übersteigerung ins Metaphysische. Deshalb hat auch die historische Wiederbegegnung von Hannah Arendt (Małgorzata Hajewska-Kryzyztofik) und Martin Heidegger (Roman Gancarczyk) im Schwarzwald 1950, die nachhaltig vom Auftritt eines buddhistischen Mönchs (Hiroaki Murakami) gestört wird, einen Ort in diesem Theaterabend.
Nicht nur nachgespielte historische Szenen sind von den Autoren Warłikowski, Piotr Gruszczyński und Adam Radecki in die Aufführung einmontiert, sondern ebenso kurze Filmausschnitte, wie etwa die Szene mit dem Friseur Abram aus dem Film „Shoah“ (1985) von Claude Lanzmann, die auf der Bühne eingeleitet wird. Historische Filmbilder verdichten die Atmosphäre, zumal die gesamte Aufführung von drei Kameraleuten live begleitet wird: Auf einer Videoleinwand sind die Gesichter in Großaufnahme zu verfolgen, auch der Ton ist elektronisch verstärkt. Im Raum von Małgorzata Szczęśniak, der mit seinen gegliederten Fensterfronten an die Architektur einer Industriehalle erinnert, bewegt sich das Ensemble im Halbdunkel. Darüber hinaus beherrscht ein langes rechteckiges Käfiggerüst, das hin- und hergeschoben werden kann, und multifunktional vom Jeansgeschäft in Wien bis hin zum Friseursalon eingesetzt wird, die Szenerie. Ansonsten genügen ein paar Stühle und ein Tisch als Handlungsorte.
Gesamtkunstwerk voller Empathie
Wasser fließt im Video, wenn die Titel der einzelnen szenischen Blöcke angekündigt werden – ganz im Sinne Brechts, dessen Verfremdungsmethoden Warłikowski schätzt, Musik unter anderen von Wagner und Beethoven schaffen Atmosphären, die „Odyssey. A Story for Hollywood“ zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen lassen, mit großer Empathie für seine Figuren und deren Erinnerungen. Am Ende dann verweist Izolda den Dibbuk, den bösen Totengeist, der daraufhin – im Video zu sehen – das Theater durch das Foyer verlässt, in den stürmischen Stuttgarter Schlossgarten hinaus.
Ein großartiges Ensemble erzählt mit epischer Distanz aufwühlende Geschichten, die sich gegenseitig ergänzen, brechen und spiegeln. Ein Theater, das etwas von der Angst der Menschen und deren Überwindung erzählt – und Gefühl wie Verstand der Zuschauer und Zuschauerinnen zugleich berührt. Schade, dass diese Koproduktion Nowy Teatr Warschau, die Juni 2021 in Warschau Premiere hatte, mit mehreren französischen Bühnen, dem Athen und Epidauraus Festival Athen und dem Schauspiel Stuttgart in Deutschland nur in der Baden-Württembergischen Hauptstadt zu erleben ist.