Das Ensemble freut sich an der utopischen Schlusspointe: Ela bekommt einen deutschen Personalausweis

"Normaler" Wahnsinn

Maja Das Gupta: Ela fliegt auf

Theater:Schauburg München, Premiere:22.06.2019 (UA)Regie:Grete PaganKomponist(in):David Pagan

„Komödie“ als Genrebezeichnung findet man im Kindertheater selten. Die junge Autorin Maja Das Gupta wagt das in „Ela fliegt auf“ und das noch mit einem (leider) unwahrscheinlichen, utopischen Schluss in einem erfrischenden politisch nicht korrekten Stück. Die Mutter von Mitja und der Vater von Mira haben sich verliebt und sind über ein verlängertes Wochenende nach Mallorca geflogen. Auf Mitja passt Ela auf. Beide nennen sich gegenseitig Bruder und Schwester. Die Schule bekommt davon Wind und schickt eine dicke Frau, die aufpassen soll, was Ela nicht akzeptieren kann. Mitja und Mira hauen ab, sie wollen auch nach Mallorca. Ela folgt auf dem Motorroller der Frau und die Frau folgt mit dem Polizisten. Es gibt eine herrliche Verfolgungsjagd im Wald. Klar doch, dass die beiden Kinder wieder auftauchen, nachdem sie sogar einen Fesselballon gekapert haben, aber nun bleibt Ela verschwunden, die zwischenzeitlich mit dem Polizeiauto abgehauen ist. Denn Ela ist ein Kind mit Duldung, kurz vor der Volljährigkeit. Und wer, auch aus Not, ein Polizeiauto klaut… Doch dann die irre irreale Volte: die Frau und die Kinder schreiben an den Oberbürgermeister einen Brief mit der Bitte um Aufenthaltsgenehmigung, der prompt beantwortet wird: Der Aufenthalt wird ausgesprochen. Ela erhält nun einen Ausweis.

Was nach einem wilden Abenteuerspiel mit ernstem sozialen und gesellschaftlichen Hintergrund klingt, hat noch eine Besonderheit: Nach „normalem“ Empfinden sind Mitja und Mira behindert, die Symptome ihrer Krankheiten werden nicht unterschlagen. David Benito Garcia führt als Mitja in Situationen, die den Jungen überfordern, panikartige Körperreaktionen vor, Anne Bontemps als Mira mit Schaum vorm Mund einen epileptischen Anfall. Aber gleichzeitig agieren sie ganz „normal“, so dass eine gewisse Irritation produktiv werden kann. Grete Pagan, die die Regie bei dieser Uraufführung an der Münchener Schauburg hat, treibt das noch einen Schritt weiter. Sie lässt das Stück vor einem roten Vorhang als Show beginnen, die Spieler treten in brauner Einheitskleidung (Kostüme und Bühne: David Hohmann) und roten Turnschuhen auf, mit Glitzer im Gesicht geschminkt. Sie werden, zu auf zwei Synthesizern produzierter Musik, namentlich vorgestellt. Und,  das ist ein weiterer Clou der Inszenierung, alle Spieler bilden zusammen eine Band: Eine E-Gitarre, eine Trompete und Percussionsinstrumente kommen hinzu. Alle zusammen fetzen die von David Pagan komponierte Musik und die von ihm arrangierten Songs gekonnt heraus.

Wenn der rote Vorhang raffend hoch geht, wird eine auf der Drehbühne montierte bürgerliche Stube sichtbar, wenn dieser sich endgültig hebt, die Kulisse eines Waldes. Dieser Raum gibt Grete Pagan die Möglichkeit, ihrer und der Phantasie des Publikums Raum zu geben. Da rast dann ein Polizeimodellauto über die Bühne oder es wird ein Lampenschirm abmontiert und aus dem Birnengewinde wird ein Fesselballon. Diese Inszenierung platzt schier vor Einfällen, die alle nur ein Ziel haben: Mit den Mitteln der Irritation die Vorstellungskraft des Publikums zu aktivieren. Das macht auch vor den Spielern nicht halt. Die schlanke Helene Schmitt spielt die dicke Frau so, wie sie ist, ohne Ausstopfungen – und man nimmt ihr das ab. Die Schweizerin Denise Hasler spielt die Ela selbstbewusst, die nach der Flucht über das Mittelmeer in der Familie des Jungen eine neue Heimat gefunden hat, die sie nun wieder zu verlieren droht: eine Überlebenskämpferin. Janosch Fries spielt den Polizisten, der eher an der Frau, denn an den Amtsgeschäften interessiert ist. Auf T-Shirts unter braunen Jacken sind übrigens die Namen der Figuren notiert, so dass sich das Publikum schnell orientieren kann.

Am Schluss tritt dann ein Mitglied der Theatergruppe des „Kreativ Labor“ der Pfennigparade München auf, in der „Behinderte“ spielen und verteilt den Brief des Oberbürgermeisters, der eigens von Christian Ude, dem populären ehemaligen Oberbürgermeister von München, eingesprochen wurde.