Foto: Ensembleszene © Carola Hölting
Text:Ute Grundmann, am 9. April 2017
Andris Plucis Choreographiert „Re:formation“ am Landestheater Eisenach.
Ein Mönch in Kutte und Barrett schreitet herein und schlägt mit einem Hammer ein Blatt Papier an eine grauschimmernde Wand. Dann kommt ein weiterer Mönch herein, dann noch einer und noch einer. Schließlich steht Martin Luther dreizehn Mal auf der Bühne, die Hammerschläge, mit denen seine Thesen angeschlagen werden, hallen durch den Saal. Mit diesem eindrucksvollen Bild beginnt die Tanzpremiere „Re:formation“ im Landestheater Eisenach, wo sich Ballettdirektor Andris Plucis tanzend Gedanken gemacht hat über das re-formieren, das sich verändern und bewegen.
In der Wartburg-Stadt Eisenach ist das Reformationsjubiläum natürlich ein großes Thema, das Spielzeitmotto des Theaters lautet „Glaube wider Verführung?“. Und so gab es zwei Wochen nach der Uraufführung des Jugendtheaterstücks „Ablass“ von David Gieselmann nun eine Choreografie um Martin Luther. Der (Angelo Vincenzo Egarese) ist zunächst Teil der Menge, bis eine Frau mit den von Gemälden bekannten Perlschnüren über dem Haar, also Katharina von Bora (Zanna Cornelis), erst sich um sich selbst kreist, sich dehnt und streckt und dann auf Luther zutanzt, sich wieder abwendet und ein roter Blitz erscheint.
Diese Perlenschnüre sind das einzige „Erkennungszeichen“ der ansonsten uniform gekleideten Tänzer, die bald Kutte und Barrett ab- und sorgsam zusammenlegen, so ordentlich wie in einer Mönchszelle. Unter den Kutten kommen hautenge schwarze Bodys (Kostüme: Danielle Jost) zum Vorschein, und diese uniforme, aber nicht gesichtslose Menge und das Verschmelzen mir ihr oder aber das Abgrenzen davon ist ein Thema des rund 90-minütigen Abends. Aber Andris Plucis stellt keinen Reformationsbilderbogen auf die Bühne, auch wenn auf einem Videowürfel hoch oben mal Flammen, mal Holzschnitte erscheinen. Solche, mit denen man früher den Glauben an des Lesens Unkundige vermittelte. Es ist eher der Gedanke, (wir) alle sind Luther und wenn man etwas bewegen will, muss man sich bewegen.
Du so gibt es immer wieder den beeindruckenden Wechsel zwischen Menge und Einzelnen, schälen sich drei aus der Masse heraus, werden zu zwei und einem, trennen sich wieder. Die ganze Company in vier Reihen schreitet mit kurzen Schritten, hüpft. Martin Luther und Katharina finden sich in eleganten, weichen, schwingenden pas de deux, trennen sich, suchen sich und finden sich wieder. Die Glaubenskriege sind ein wilder Mummenschanz, die Tänzer folgen im Rundmarsch um die Bühne einer roten Fahne. Das alles ist beeindruckend genug, Comictafeln (von Bühnenarbeitern mit „Bühne“-Shirts umständlich auf- und abgebaut) und einen Wald von Pappschafen (für den Satz „Ich wollte ein Lamm mit Fähnchen, nicht 16 Schafe) bräuchte es da gar nicht.
Musikalisch hat Plucis Werke aus mehreren Jahrhunderten ausgewählt, setzt sie aber nicht linear ein, sondern kommt von Philip Glass über Telemann und Bach zu Leos Janácek schließlich zu Mendelssohn Bartholdy. Starke Streicherstücke allesamt, nur manchmal ein Cembalo, von der Landeskapelle Eisenach – die am 11. August mit der Thüringen Philharmonie Gotha fusioniert wird – unter ihrem Chefdirigenten Andreas Fellner klar und einfühlsam, mal antreibend, mal meditierend gespielt. Und nach dem vielfach variierten, aber nie wiederholten Wechsel von Masse und Einzelnem legen die Tänzer ihre Mönchskutten wieder an und nehmen die schweren Hämmer wieder in die Hand – zu einer neuen Reformation?