Foto: Vor dem letzten Schlachten © David Baltzer
Text:Detlev Baur, am 12. Juli 2025
Jedes Jahr geben die Nibelungenfestspiele in Worms eine neues Drama zum Nibelungen-Stoff in Auftrag. Nun hatte „See aus Asche. Das Lied der der Nibelungen“ von Roland Schimmelpfennig Premiere, inszeniert von Mina Salehpour – ein ungewöhnlich differenziertes Freilichttheater vor der Domkulisse.
Vor der Seitenfront des Wormser Doms breitet sich eine wüste Kieshügellandschaft aus mit einem kleinen See (Bühne: Andrea Wagner). Ist das für die acht Darsteller:innen wenig komfortable Spielgelände eher ein Verweis auf lebensfeindliche Natur oder doch eher Ergebnis menschengemachter Verunstaltung der Welt? Im Kies stehen oder liegen etwa fünfzig weiße Plastikstühle herum, anfangs vor einer Leinwand auf der linken Bühnenseite. Kriemhild (Kriemhild Hamann) tritt mit Popcorntüte auf, Videodesignerin Kate Ledina liefert von der Bühne oder neben der Bühne über die rund drei Spielstunden immer wieder Live-Videos vom Geschehen.
Nüchtern führt ein Mann mit roter Jacke ins Spiel ein (Andreas Grötzinger als Volker, der Spielmann), die anderen Hauptfiguren stellen sich in Roland Schimmelpfennigs Nibelungen-Version selbst vor. Hagen von Tronje (Wolfram Koch) führt sich – mit Wendung zur Bühnenrückseite, an die Jesusfigur über dem seitlichen Domportal – als jemand ein, der nicht an das Licht glaubt, „das das Leiden / des Mannes hoch an dem Kreuze / angeblich auf die ganze Menschheit wirft.“ In gewohnter Schimmelpfennig-Manier lässt „See aus Asche“ die Figuren als Kommantatoren ihrer selbst auftreten, ergibt sich das Dramatische aus der epischen, zuweilen auch lyrischen Selbstbeschreibung der Figuren. So treffen dann im Dialog der Drache (Jasmin Tabatabai) und Siegfried (Eigin Nilsen Salthe) aufeinander.
Schimmelpfennigs Nibelungen-Drama
Das – vielleicht abgesehen vom Titel – überzeugende Drama bietet über die Betonung des Liedhaften im Nibelungenlied eine leichte wie konzentrierte und klare Nacherzählung des komplexen Epos. Es gelangt darüber hinaus immer wieder zu eingängigen, dramatischen Situationen: Von der Brautwerbung in Worms über die verdeckten Vergewaltigungen Brunhilds, die Konfrontation Brunhilds und Kriemhilds vor dem Dom, die Ermordung Siegfrieds durch Hagen bis hin zur Selbstauslöschung der Familie an Etzels Hof.
Ähnlich wie in „Anthropolis“, der erfolgreichen Antiken-Neuerzählung Schimmelpfennigs für das Deutsche Schauspielhaus Hamburg aus der vorletzten Spielzeit, gelingt ihm für Worms die Übertragung eines alten Stoffs ins Heute, die mit der Distanz zur alten Geschichte spielt, das Tradierte gleichzeitig zum Leben erweckt und befragt. Damit verschränkt er die ein wenig von Weltflüchtigkeit bedrohten poetischen Menschenbilder seiner früheren Dramen erfolgreich mit harten, weil zugleich kanonischen wie im Kern ausweglos tragischen Figuren aus der Überlieferung.
Regisseurin Mina Salehpour baut bei der Uraufführung auf die Sprachkraft des Textes und der Spieler:innen. Der Tod des Drachen etwa findet in der sprachlichen Auseinandersetzung statt, kein szenischer Effekt überlagert das Spiel auf der enorm breiten Bühne. Selbst die musikalischen Effekte (Sandro Tajouri) unterstreichen eher subtil die zunehmend grauenerregende Dramatik. Auch die Kostüme von Maria Anderski lassen den Darsteller:innen große Freiheit, deuten etwa bei Hagen einen Gruselclown an. Erst ganz am Ende steht der kleine Bühnen-See spektakulär in Flammen, während Hagen und seine Begleiter Gunter (Hans-Werner Leupelt), Gieselher (Denis Geyersbach) und Volker von Kriemhild – sprachlich geschildert – mit dem Tode bestraft werden.
Differenziertes Freilichttheater
Die klare, für Freilichttheater ungewöhnlich wenig effekthascherische Inszenierung funktioniert dank des überzeugenden Textes, der es auf kleineren, geschlossenen Bühnen in Zukunft noch leichter haben dürfte. Sie nutzt Großaufnahmen von Gesichtern zur Fokussierung auf Einzelne, gleichsam als szenische Fortsetzung von Schimmelpfennigs sprachlichen Miniaturen zur Lage einzelner Figuren. Zudem entstehen starke – auch hier subtil eingesetzte – Kontrastbilder, etwa bei der Vergewaltigung Brunhilds durch den mittels Nebelkappe verborgenen, im Video aber sichtbaren Siegfried.
Und es funktioniert – auch zur Zufriedenheit des um die Inszenierung herum durch Event und Gastronomie beglückten Premierenpublikums – dank des starken Ensembles. Wolfram Koch ist ein mephistophelischer, spielfreudig präsenter Hagen; der norwegische Schauspieler Eivin Nilsen Salthe gibt dem ambivalenten Helden Siegfried ein überzeugendes Maß an männlicher Kurzsichtigkeit mit, Jasmin Tabatabai spielt als Drache wie als Brunhild die Fassungslosigkeit über ebendiese menschliche:männliche Beschränktheit immer mit. Und Lisa Natalie Arnold ist ein berührendes, ja dramatisches „Lindenblatt“, ein kleiner entscheidender, beachtenswerter Teil der Schöpfung: jenseits von Kies und Plastikstühlen.
Im Augustheft wird ein Werkstattbericht von Beteiligten der Produktion erscheinen.