Foto: Hasti Molavian, Alwin Fröhlich und Johann Hyunbong Choi in "Great Open Eyes" am Theater Münster © Martina Pipprich
Text:Christoph Schulte im Walde, am 14. Mai 2023
Inspiriert von Henrik Ibsen und nach zahlreichen Interviews mit Eltern, deren Kinder gestorben sind, ist das Musiktheater „Great Open Eyes“ entstanden. Die Uraufführung am Theater Münster überzeugt zwar mit der musikalischen Leistung, leider lässt das Stück von Manuel Zwerger und Carolynn Amann das Publikum eher kalt.
Kaum eine größere Katastrophe kann man sich als Eltern vorstellen als den Verlust des eigenen Kindes. Da verlässt ein Mensch die Welt, der eigentlich erst später „dran“ gewesen wäre. Plötzlich und unerwartet, viel zu jung! Dieses Thema verhandelt die neue Oper von Manuel Zwerger, die am Samstag im Kleinen Haus des Theaters Münster ihre Uraufführung erlebte. „Great Open Eyes“ dauert knapp eine Stunde, benötigt ein überschaubar großes Orchester mit Streichern, Holz- und Blechbläsern und etwas Schlagwerk.
Im Zentrum stehen Rita und Alfred, Papa und Mama von Eyolf, eben jenem auf welche Weise auch immer gestorbenen Kind. Es muss wohl ertrunken sein. So jedenfalls erzählt es Henrik Ibsen in seinem vor 128 Jahren geschriebenen Schauspiel „Klein Eyolf“, das dieser Neuschöpfung von Manuel Zwerger als Basis dient. Carolyn Amann hat das Libretto verfasst. Carmen C. Kruse zeichnet für Konzept und Regie verantwortlich.
Das Kleine Haus des Theaters wird zu einer Art Arena. In der Mitte die Spielfläche: ein großes Loch mit einem durchgehenden Laufsteg drumherum, direkt daran angrenzend das Orchester. Henning Ehlert und Boris Cepeda dirigieren es virtuos und mit großer Akkuratesse. Rita und Alfred bewegen sich auf diesem Steg und singen. Er macht sich Vorwürfe. Sie lauscht auf ihre Gefühle und sinnt ihnen nach.
Musik ohne Empathie
Es stellt sich allerdings im Publikum schon bald die Frage: Was geht mich das an? „Die Leere bleibt“, heißt es. Oder die „zerbrochene Welt“ wird beklagt. Ganz gewiss und ohne jeden Zweifel existenzielle Erfahrungen! Sie kommen aber nicht wirklich an. Zumal die Sprache des (englischsprachigen, deutsch übertitelten) Librettos merkwürdig unpersönlich und unempathisch wirkt. Selbstreflexion, ganz sicher. Aber eben verhaftet im Selbst, mit dem sich nicht jeder Mensch im Publikum identifizieren muss.
Natürlich taucht am Ende der kleine Eyolf auf, entsteigt dem vom Laufsteg umgebenen Becken. „Der Sinn ist für mich jetzt ein anderer“, so Eyolf. Stimmt! Die Eltern: „Das Leben geht weiter“. Stimmt auch. Aber braucht es für diese Einsicht eine Oper?
Und die Musik? Deskriptiv, atmosphärisch dicht, nirgends verstörend, keinesfalls die Speerspitze der Avantgarde. Dass Kontrabässe ihre Saiten mit Cassettenbändern bearbeiten, Bratschen ihr Instrument umstimmen, Blechbläser an Plastikschläuchen hängen – der gewollte Effekt überträgt sich leider nicht. Gesungen wird fantastisch. Da leisten Hasti Molavian (Ratwife), Robyn Allegra Parton (Rita), Johan Hyunbong Choi (Alfred) und Alwin Fröhlich (Eyolt) ganz Tolles!
Die generelle Frage bleibt: Was hat „Great Open Eyes“ mit mir zu tun? Diese muss sich jeder Vater und jede Mutter selbst stellen.