Paulina Bittner, Irene Kugler und Katja Gaudard sitzen auf einem Block, der als Tisch dient. Um sie herum befinden sich Lebensmittel und Küchenutensilien.

Weil sie Frauen sind

Maria Milisavljević: Staubfrau

Theater:Schauspiel Leipzig, Premiere:03.10.2025 (DE)Regie:Kamila PolívkováMusikalische Leitung:Peter Fasching

Drei Frauen. Drei Generationen. Drei Formen von häuslicher, patriarchaler Gewalterfahrung. „Staubfrau“ ist ein hoch poetisches Stück von Autorin und Theatermacherin Maria Milisavljević, für das das Inszenierungsteam in der Deutschen Erstaufführung am Schauspiel Leipzig eine stimmig komponierte Bildsprache findet.

Am Ende stehen drei Frauen vor dem Bühnenbild, in und mit dem sie eineinhalb Stunden generationenübergreifende körperliche wie psychische Gewalttaten an ihnen thematisiert haben, schauen uns frontal an und zählen in einem unablässigen Strom die begangenen Femizide seit dem 29. September 2025 rückwärts auf. Es ist eine nicht enden wollende Aufzählung: Datum, Alter, Ort. Datum, Alter unbekannt, Ort. Datum, Alter, Ort. Es hört nicht auf, bis das Dunkel der Bühne uns und sie verschluckt und der Tatenfluss abrupt im Mai 2025 endet.

Wir wissen, die Liste ginge noch quälend lange weiter. Sprechen da noch die Figuren Oma, Mutter, Tochter von Autorin Maria Milisavljević oder die Schauspielerinnen Irene Kugler, Katja Gaudard und Paulina Bittner? Fast jeden Tag tötet ein (Ehe)Partner, (Ex)Partner oder Familienangehöriger in Deutschland (s)eine Frau. Das sind die aktuellsten vorliegenden Daten aus dem Jahr 2023. Weltweit sind Morde durch den Partner die häufigste unnatürliche Todesursache von Frauen.

Vom System erschlagen

„Staubfrau“ kam Anfang des Jahres am Schauspielhaus Zürich zur Uraufführung und wurde mit dem Mülheimer Dramatikpreis 2025 ausgezeichnet. Die Autorin erzählt darin in poetischer Sprache von Femiziden, struktureller, patriarchaler Gewalt gegen Frauen und sozialisierten sowie tradierten Machtverhältnissen.

Die Oma (Irene Kugler) erlebte, wie ihre beste Freundin Therese als Kind vom Fritz vergewaltigt und ermordet wurde. Alle wussten es, doch der Fritz lebte, in der Kneipe Bier trinkend, weiter, bis er mit 88 Jahren starb. Das ganze Dorf war auf seiner Beerdigung. Die Mutter (Katja Gaudard) erlitt still die Demütigungen und Erniedrigungen des Ehemanns, was in einem missglückten Suizidversuch endete. Die Tochter (Paulina Bittner) bekam das alles mit. Und eben jene Tochter, die jüngste Generation, nun erwachsen, lebt mit dem Vater ihrer zwei Kinder zusammen, der sie vergewaltigt, schlägt und schikaniert. Es gibt Dinge, die ändern sich also nie. Das war schon immer so. Ist es deswegen nicht veränderbar?

Countdown der Gewalt

24 Stunden. 3 mögliche Auswege nach Ablauf der Uhr. Morgen bringt sie sich um. Morgen bringt sie ihn um. Morgen bringt er sie um. Ein einziger Gedankenstrom der Tochter. Nicht gleichförmig, nicht zielstrebig, nicht stet. Ein Gedankenstrom der Stimmen in ihr – ihrer Mutter und Großmutter. (Auf)fordernd, mahnend, flehend, hinterfragend. Alles, was sie verinnerlicht hat. Die Oma fordert sie immer wieder auf, endlich abzuhauen. Aber die Kinder? Es sind gegensätzliche, ambivalente, verunsichernde Stimmen in Frauen, die häusliche Gewalt erleben. Die Stimmen der Vergangenheit, die in der Tochter weiterwirken, sie hin und herreißen. Was tun, damit es aufhört?

Regisseurin Kamila Polívková findet dafür am Schauspiel Leipzig eine stimmige Versuchsanordnung, die in ihrer klaren Rationalität und Nüchternheit den Figuren genau den Raum lässt für ihre Geschichten, Gedanken und Emotionen.

Aus der Realität auf die Bühne

Paulina Bittner, Katja Gaudard und Irene Kugler spielen das mit enormer, fein ziselierter Kraft und Energie. Auf Wutausbruch folgt Stille, auf Wut folgt der Bruch ins fein, trocken, leise Sarkastische – Komm mal wieder runter …. Die (Ehe)Männer sprechen mit künstlich verzerrter Stimme – verfremdet, hart, unmenschlich. Es sind Nadelstiche, Verletzungen, die klein halten sollen, den Selbstwert brechen. Das Schlimme ist, Frau kennt diese Sätze. Sie sind nicht fremd. Warum kann ich nicht einfach neben dir stehen und dir auf gleicher Höhe in die Augen blicken, ohne dass du Angst bekommst?, fragt die Tochter mit leerem Blick. Frau kennt auch das In-Schutz-Nehmen, die Relativierungen, Rechtfertigungen und die Nachsicht, mit denen sie sozialisiert wurde.

Paulina Bittner und Katja Gaudard sitzen stehen vor einem Küchenblock und starren ins Leere.

Das Warten auf Gewalt. Foto: Rolf Arnold

Staub ist flüchtig, lässt sich nicht formen. Geformt wurden aber die Leben der von Gewalt erfassten Frauen mit tiefen Furchen. Mit Narben und Verletzungen geformte Körper und Blicke. Es sind aber auch die Verletzungen und Ansprüche der älteren weiblichen Generation an die jeweils jüngere, die Milisavljević thematisiert. Ein komplexes Beziehungsgeflecht voll Spannungen, das Paulina Bittner, Katja Gaudard und Irene Kugler emotionsstark, rund ineinander fließend ausspielen. Ein starkes Zusammenspiel, in dem alle drei brillieren. Paulina Bittner fasziniert darüber hinaus als eine Tochter, die stoisch, abgelöscht funktionieren muss und von allen Facetten des Frau-Seins erdrückt wird.

Staub und Wasser

Das Motiv des Flusses, das sich durch Maria Milisavljevićs Text zieht, manifestiert sich in Kamila Polívkovás Inszenierung in verschiedenen Flüssigkeiten und einem Aquarium-artigen Wasserbassin, in dem die Halskette von der Therese – die der Fritz ihr auf dem Rummel schenkte, bevor er sie vergewaltigte und im Fluss liegen ließ – leblose Gliedmaßen, ein Puppenhaus samt Playmobilfiguren, die zwischen Schlingpflanzen zum Grund hinabsinken, Staub, der sich im Wasser auflöst, treiben.

Eingefangen wird das von einer Kamera an einem portablen Schwenkarm, die die Nahaufnahmen auf eine große Leinwand projiziert. Bühne und Video von Antonín Šilar ziehen eine filmische Ebene ein, die Milisavljevićs poetischen Text mit ästhetischen Bildern verstärkt. Die Aufnahmen sind nah und doch unscharf wie durch ein Milchglas. Die Staubfrau bleibt schemenhaft. Alle drei Figuren tragen unscheinbare feminine Blusen mit klar abgegrenzten oder blassen, ineinander überlaufenden rot-blauen Farbtupfen. Wenn man es sehen will, sieht man aber nackte, schutzlose Körper, die von Blutergüssen und blauen Flecken übersät sind (Kostüme: Lisa Däßler)

Was bleibt

Datum, Alter, Ort. Datum, Alter, Ort. Das Licht wird schummrig. Wenn die Trennung vom Tatopfer ausgeht und der Angeklagte sich durch die Tat dessen beraubt sieht, was er eigentlich nicht verlieren will, dann entfallen die Mordmerkmale.Irene Kugler schnarrt mit festem Blick diesen Satz immer und immer wieder ins Publikum. Mit jeder Wiederholung verflüchtigt sich der Hohn nicht, er dringt tiefer ein.

Was sie zitiert, ist ein Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29.10.2008, Az. 2 StR 349/08. Diese Formulierung findet sich in neueren gerichtlichen Entscheidungen nicht mehr, die rechtliche Bewertung aber bleibt unverändert, dass keine niederen Beweggründe für einen Mord vorliegen. Es bleibt ein Totschlag – und bekräftigt patriarchale Besitzansprüche und Gewaltverhältnisse. Ein emotional nachwirkender, schauspielerisch und kompositorisch beeindruckender Abend am Schauspiel Leipzig.