Brennende Herzen

Georg Philipp Telemann: Der Sieg der Schönheit

Theater:Theater Magdeburg, Premiere:09.03.2024Regie:Kai Anne SchuhmacherMusikalische Leitung:Michael Hofstetter

Es geht heiß her in Magdeburg: In der Telemann-Oper „Der Sieg der Schönheit“ kämpfen römische Frauen um das Recht auf eine Liebesehe. Die Inszenierung spielt dafür wunderbar mit Vergangenheit und Gegenwart.

Erst brennt ein Baumodell, in Nahaufnahme auf einer großen Leinwand, dann die Herzen der barocken Opernfiguren in Nahaufnahme durch Gesang und Klang. Von den acht erhaltenen Opern Georg Philipp Telemanns ist „Gensericus oder Sieg der Schönheit“ (TVWV 21:10) eine der unbekanntesten. Für das an der Hamburger Gänsemarkt-Oper 1722 uraufgeführte, aber nur in einer Bearbeitung für Braunschweig 1728 erhaltene Werk hatte Christian Heinrich Postel blumig-frenetisches Libretto geschrieben: Auf gut deutsch und mit einem im besten Sinne großen Schwulst, dass auch die Zeitgenossen zwischen Erschütterung und Erheiterung, Pathos und Plaisir hin- und hergerissen sein mussten.

Gefühlslust in Magdeburg

Regisseurin Kai Anne Schuhmacher fand es toll, „dass man mehrdimensionale Charaktere entwickeln kann“, was in der Barockoper aufgrund häufiger Arien-Stillstände mitunter schwerfällt. Sie füttert das dafür überaus empfängliche Ensemble für 180 kurzweilige Minuten.

Das bei der Uraufführung offenbar zu üppige, auch Tanz erfordernde Stück lebt durch den Überfluss einer wortreichen Sprache der Emotionen, des Begehrens und der variantenreichen Verzögerung von Glück und Lust. Unter der szenenaffinen wie fachkundigen Leitung Michael Hofstetters spielte die Akademie für Alte Musik Berlin in ihrer ersten Kooperation mit den Telemann-Festtagen mit chamäleonischem Klangreichtum. So gelang in der optimalen Akustik des zur Premiere fast ausverkauften Opernhauses Magdeburg ein Festspiel der besonderen Art.

Die Inszenierung in Magdeburg spielt mit dem Feuer. Foto: Andreas Lander

 

Ein bisschen Gegenwart auf der Bühne

Nur hie und da wurde ein bisschen aktualisiert und für die Gegenwart paraphrasiert. Sonst orientieren sich Sänger und Stab fast frivol, aber auch ernsthaft an der Ursprungszeit. Sinnreich die Szene: Im hölzernen Gerüst Lisa Däßlers balgen sich zum Vorspiel Kinder von heute. Dann fackelt das Modell ab und das Geschehen rollt ab wie eine Kinderphantasie. Die Idee des höfischen Theaterfestes wird in einem hölzernen Gerüst mit Wolkenflugwerk und einem Bootswrack als Symbol gefährlicher und waghalsiger Lebensfahrten zum lebhaft bewegten Bild, allenfalls etwas verspielter und mit etwas mehr Witz als an den feudalen Höfen.

Valerie Hirschmann unterstützt das in ihren Retro-Kostümen. Dietrich Henschel, laut Textbuch der Deus ex machina Turpino, genießt seine Auftritte als Flattergeist zwischen Mephisto und Amor mit Regiebuch. Er stupst an und doch zwingen ihm in den entscheidenden Momenten des Spiels andere Figuren ihre eigenen Ideen auf.

Trotz antikem Setting geht es auf der Bühne um Emanzpation. Foto: Andreas Lander

 

Mehr Liebe als Pflicht in Magdeburg

Das muss man über das wortreiche Schwadronieren in den hohen Emotionsregionen wissen: Postel nahm seinen Plot aus der spätrömischen Geschichte anno 422. Gensericus hat erst Karthago, dann Rom platt gemacht und mit den besiegten „Römer:innen“ einen großen Plan. Seine Männer sollen diese heiraten, auf dass diese Bündnisse blühende Dynastien und Landschaften begünstigen. Anders als in der adeligen Realität geht es in „Sieg der Schönheit“ nicht um politische Zweckheiraten, sondern um Liebesehen. Anlässe zum rekordverdächtigen Süßholzraspeln, Sprücheklopfen und Parolenschwingen gibt es zuhauf.

Edelste Krinolinenkleider haben schmutzige Rocksäume. Zum Liebeskampf schwingen Frau und Mann das Holzschwert und der erdige Boden wirkt wie ein Sandkasten für Erwachsene. Erfreuend undogmatisch wird akzentuiert, dass die verweigernde Haltung der Römer:innen ein profeministisches Gedankenfundament hat. Verständlich: Kaiserin Eudoxia (Lydia Teuscher hat die sprichwörtliche Träne in der kapriziösen Stimme) will nicht in die nächste toxische Ehe.

Am schönsten singt Sunhae Im als Placidia, weil sie Gesang und Diktion immer an der Schwelle von Ironie und Emphase einsetzt. Anna Willerding ist eine Pulcheria, die trotz Brille den Liebeswald vor lauter Hindernisbäumen nicht sieht. Sarah Alexandra Hudarew ergänzt die römische Frauenriege als Melite exzellent.

Begleitet wird det Abend in Magdeburg von der Akademie für alte Musik aus Berlin. Foto: Andreas Lander

 

Schöne Männerrollen in Telemann-Opern

Schon weil es in Telemann-Opern weitaus mehr attraktive Männerpartien für jede Stimm- und Alterslage gibt als beim Kastraten-Fetischisten Händel sollten kleine und große Opernhäuser mehr Telemann wagen. Hier reicht das Spektrum vom recht viril klingenden Countertenor Terry Vey als Honoricus über den bei seinem sozialen Umfeld verständlich zaudernden Quoten-Römer Olybrius von Marko Pantelić. Der klar fokussierende Baritenore Dominik Köninger ist stimmlich mehr ein Galan Gensericus denn barbarischer Berserker. Da zeigt Schuhmacher, dass sie durchaus utopischen Scharfblick hat und Ausnahmen binärer Dualismen in Geschichte und Gegenwart zu würdigen weiß.

Ein bisschen Asterix-Dramaturgie: Johannes Stermann ist als Trasimundus ein Grandseigneur mit goldenem Herzen und etwas unglücklichen Versen, Ludwig Obst als Helmige der Bedachte mit so manchem klugen Spruch. Ein wunderbarer Abend also mit Herz, dieser Barockoper bestens angemessener großer Klappe und einer Utopie von Emanzipation.