„Waste!" am Schauspiel Stuttgart

Märchenhafter Müllexport

Gianina Cărbunariu: Waste!

Theater:Schauspiel Stuttgart, Premiere:17.03.2022 (UA)Regie:Gianina Cărbunariu

Was geht uns Rumänien an? Geschickt verknüpft die rumänische Autorin und Regisseurin Gianina Cărbunariu in „Waste!“Ereignisse in ihrer Heimat mit dem, was das deutsche Publikum beschäftigen sollte. Zum Vehikel wird hierbei der Müll, der mit nicht immer legalem Inhalt transportiert wird, um in den Öfen von Zementwerken verbrannt zu werden, die wiederum deutschen Konzernen gehören. Keine deutsche Figur tritt in diesem Stück auf. Natürlich aber werden die Rollen von deutschen Schauspielern und einer Schauspielerin gespielt. Schon diese Konstruktion wirkt surrealistisch, die Autorin geht aber noch einen Schritt weiter, indem sie die Handlung ins Absurde treibt: Nicht zufällig nennt sie ihr Stück „Ein Dokumentar-Märchen“. Interviews und andere Quellen liegen der Recherche für den Plot zugrunde. Auch um Distanz zu schaffen, entwickelt Cărbunariu im bonbonbunten Licht (Stefan Schmidt) ein von Tieren bevölkertes märchenhaftes Ambiente: Pfau, Forellen, Bär.

Lustvolles Ensemble

Aber der Reihe nach: Die Bühne ist fast leer. An der Hinterwand stehen 14 verschiedene alte Stühle aus dem Fundus. Links hinten und an der Seite stapeln sich pralle Müllsäcke. In der Mitte liegt ein ovaler weißer Boden, dessen Ränder ausgefranst sind (Bühne: Dorothee Curio). Was erst später in den Blickwinkel gerät, ist eine Decke aus geriffelten Glas. Im Verlaufe der Handlung wird diese immer schräger gestellt, bis sie am Ende ganz heruntergefahren wird. In diesen Raum tritt Sebastian Röhrle auf. Er legt die Spielregeln offen. Halb im Kostüm eines Geschäftsmannes, halb als Pfau mit stolzen Schwanzfedern, die in verschiedenen Farben und Formen leuchten können, wird er zum aalglatten, aasig lächelnden Conferencier, der die Interessen der Unternehmerseite präsentiert. Er lässt zunächst die Figuren auftreten, die angeblich während der Proben gestrichen worden waren: der Kontrollbeamte, der an der Fahndung nach Dioxinen und Furanen gehindert wird, dem Elias Krischke sympathischen Züge gibt; der Staatsanwalt, der das Geschäft zum Erliegen bringen möchte, von Jannik Mühlenweg selbstbewusst verkörpert. Oder Boris Burgstaller, der als Geist das Alte, die Natur beschwört. Wie überhaupt das Ensemble lustvoll agiert, so dass es verkraften konnte, dass kurz vor der Premiere Marco Massafra passen musste. Krischke und Mühlenweg übernahmen seine Rollen.

Forellen und Bären

Wie es scheint, rumort es, die Leute murren ob des Gestanks, des Staubs, der Vernichtung der Landschaft. Die Bürgermeisterin, der Christiane Roßbach einen jovialen, wie herzlichen Anstrich gibt, soll im Interesse des Kapitals die Menschen beruhigen. Dann aber läuft Ammoniak in den Bach, die Fische sterben. Die Regie entwickelt dazu eine absurde Szenerie, in der die Schauspieler und die Schauspielerin mit Forellenmasken agieren. Da wird dann das bekannte Lied von Schubert gesungen und dann tritt ein Bär auf, mit schwarzem Fell und furchterregendem Gebiss, der die Natur zu verteidigen scheint, aber alles fremde Andere eliminieren möchte. Erst beim Studium des Programmheftes wird die eigentliche Funktion der Figur deutlich: Sie ist Symbol für die Politik der rechtsradikalen Partei AUR in Rumänien, Symbol auch dafür, wie asoziales Kapital rechte Extreme erst hochschwemmt.

Cărbunariu entwickelt in ihrer Inszenierung zu den Kompositionen von Emilian Gatsov ein hohes Tempo, das die Neigung steigert, den Szenen einen absurden Kick zu geben. Die Dialoge sind witzig und spritzig. Das Publikum wird von der Bürgermeisterin, die neben ihrem politischen Amt auch noch Lehrerin ist, immer wieder wie eine Schulklasse angespielt. Der Dialog ist voller Pointen und so aberwitzig, wie er auch in der Realität stattfindet. Nein, die Autorin verurteilt nicht, sie führt vor, was in ihrem Heimatland vor sich geht. Gegen das Kapital ist kein Zauberkraut gewachsen, auch nicht im Märchengewand – und das macht trotz aller surrealen Überspitzungen die Handlungen vorhersehbar. Und für den deutschen Zuschauer? Kein exotischer Hauch, sondern diese Vorgänge, wenn sie auch im fernen Rumänien spielen, sind uns nicht fremd. Ca.  80 Prozent des Inhalts von gelben Säcken, bzw. Tonnen werden nicht recycelt, sondern verbrannt – in Deutschland, in Rumänien und anderswo. So werden auch wir als Weltmeister der Mülltrennung belogen.