Foto: Ilkin Alpay (Cupid) und Jennifer France (Semele) © Falk von Traubenberg
Text:Eckehard Uhlig, am 17. Februar 2017
Es ist eine alte Geschichte, die Liebes-Leidenschaft und Liebes-Leid von der Erde in den Himmel hebt. Als Georg Friedrich Händel für seine Operninszenierungen kein Geld mehr auftreiben konnte, verlegte er sich auf fromme Oratorien. Der Maestro mochte aber die Oper nicht lassen und erfand eine ganz eigene Mischform, das szenische Opern-Oratorium, wo Lust und Ewigkeit, Menschen und Götter durch Liebe mythisch miteinander verflochten sind. Seine 1744 in London uraufgeführte „Semele“, mit der die diesjährigen Händelfestspiele am Badischen Staatstheater Karlsruhe fulminant eröffneten, ist ein Musterbeispiel des Genres, in dem den chorischen Elementen eine wichtige Aufgabe zukommt, in Arien und Duetten aber das Opern-Theatralische die Oberhand gewinnt.
William Congreves auf Ovids „Metamorphosen“ basierendes Libretto geht kurz gefasst so: Der göttliche Jupiter hat eine erotische Affäre mit der allzu menschelnden Königstochter Semele, die eigentlich einen standesgemäßen Prinzen heiraten soll, aber, ehrgeizig auf Unsterblichkeit hoffend, den olympischen Liebhaber vorzieht. Doch die eifersüchtige Götter-Gattin Juno setzt erfolgreich alles daran, die unmögliche Liaison zu zerstören und Semele zu vernichten.
Für die Aufführung (in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln) haben die Karlsruher Festspiel-Organisatoren veritable Spezialisten für Barockes gefunden. Der eigens zusammengestellte Händel-Festspielchor (mit Chorleiter Carsten Wiebusch) sorgt für wuchtig-frischen, hymnischen Chorgesang. Die historisch geschulten und bestens disponierten Orchester-Musiker, die „Deutschen Händel-Solisten“, spielen auf, als fühlten sie selbst Freude, Liebessehnsucht und Schmerz der von ihnen begleiteten, oft auch angefeuerten Protagonisten. Und die exzellenten Vokalsolisten, darunter mehrere Gäste, entfachen einen zauberhaften, von Erregungs-Wellen getragenen Ziergesang, wie er kunstvoller nicht sein könnte. Mit inspirierender Musikalität konzentriert und bündelt Christopher Moulds am Dirigentenpult die vokalen und instrumentalen Linien, sodass Affekte und hinreißende magische Klangmomente entstehen können.
Hatte Congreve in seinem Libretto die britische Adelsgesellschaft seiner Zeit satirisch aufs Korn genommen, so gewinnt Floris Visser in seiner Karlsruher Inszenierung witzige, manchmal auch klamaukige Pointen aus der Regie-Idee, das modisch-modern gekleidete Götterpaar, mit sämtlichen Macht-Insignien der USA ausgestattet, als Präsident und First-Lady im Weißen Haus anzusiedeln. Und auch das übrige Personal ist entsprechend amerikanisch infiziert: Da gibt es im Oval Office willfährige Büro-Tussis, athletische Personenschützer mit schwarzen Brillen, schwer bewaffnete, martialische Polizei-Einsatzkräfte und natürlich die Pressemeute und blitzlichternde Fotoreporter.
Auf die Drehbühne hat Ausstatter Gideon Davey ein aus weißgrauen Marmorblöcken gefügtes, halbseitig offenes Observatorium gebaut, das von außen wie eine Sternwarte aussieht, innen aber dem römischen Pantheon gleicht, durch dessen runde Kuppelöffnung Semele später in den Theaterhimmel befördert wird.
Die Titelheldin (Jennifer France), die so gern göttergleich wäre, singt jedenfalls in Karlsruhe wie eine Göttin. Ihre Sopran-Arien sind melancholisch-sehnsüchtig geträllerter Lerchen-Gesang („Lark tunes to my distress), Freudenjubel („Endless pleasure, endless love“) und traumtrunkene Melodie-Girlande („O sleep, again deceive me“). Die berühmte Spiegelszene hat Visser in ein Foto-Shooting verwandelt, das freilich Semeles sanglichen Narzissmus noch stärker betont („Myself I shall adore“). Und als sie im letzten Akt Jupiter erregt zwingt, ihr in seiner göttlichen Gestalt zu begegnen, steigert sie sich in eine nicht enden wollende Koloratur-Bravour hinein, deren Kunstcharakter kaum zu übertreffen ist.
Jupiter (Ed Lyon) steht ihr, was den Koloratur-Glanz betrifft, kaum nach. Mit tenoral entrückter Verinnerlichung stimmt er sein Trost- und Schutzversprechen für die Geliebte an („Where’er you walk“). Musikalisch läuft alles auf einen Höhepunkt zu: Als das Oval Office im Pantheon zur Liebesklause für Jupiter und Semele mutiert, ergeht sich das Paar, auf weißem Doppelbett duettierend, in hingegebenem Kopulations-Zwiegesang – ein Liebesrausch von betörender Sinnlichkeit. Was nichts am tragischen Ende Semeles ändert, die in Jupiters Strahlenkranz verbrennen muss. Auch ihre Schwester Ino (Dilara Bastar) versteht es, mit dunkel verhangenem Mezzo wehe Verzweiflung mitzuteilen („And see a maid bewoan“). Sie kann wenigstens ein Happyend feiern und Prinz Athamas (Terry Wey), der mit einem genauso zarten wie klangintensiven Countertenor aufwarten kann, schlussendlich heiraten. Juno (Katharine Tier), König Cadmus (Edward Gauntt), Cupid (Ilkin Alpay) und Iris (Hannah Bradbury) vervollständigen das Vokalsolisten-Team. Somnus (Yang Xu) hat eine irrwitzige Szene als verschlafen-verschlampter Security-Supervisor vor seinem Bildschirm-Überwachungspult.
Dank präziser Personenführung sind alle Charaktere mit ihren Ausdrucksfarben auch schauspielerisch überzeugend präsent. Mit massiver Klangpracht setzen die Chöre triumphale Akzente oder zelebrieren, die sterbende Semele umringend, ergreifende Trauer. Sie spielen engagiert mit. Überhaupt korrespondieren darstellerische Interpretation und musikalische Partitur auf ideale Weise. Aus Karlsruhe ist also ein Opern-Ereignis zu vermelden.