Foto: Spielen im Sandkasten © Sebastian Hoppe
Text:Michael Laages, am 6. Dezember 2025
„auf der Suche nach dem verlorenen bagger“, das neue Stück vom konsequenten Kleinschreiber Leo Meier, ist ein komischer Alptraum von Sehnsucht und Verlust. Matthias Reichwald inszeniert die Uraufführung am Staatsschauspiel Dresden als kleines Welttheater der Emotionen.
Das schönste Bild dieses kleinen, aber an sehr schönen Momenten ungewöhnlich reichen Theaterabends gehört dem technischen Team. Als Alfi, der fünfjährige Junge, der „auf der suche nach dem verlorenen bagger“ ist, kurz vor Schluss für einen Augenblick träumen darf, dass alles so liefe, wie er sich das gewünscht hat, bekommt er in einer Art Techno-Ballett den Maschinenpark auf der Bühne vorgeführt. Gabelstapler, Leiterwagen, Hebebühnen, Reinigungsmaschinen. Klar, noch immer ist kein neuer Bagger dabei für das Spielen im Kindergarten, aber Alfi ist trotzdem zufrieden. Eindrucksvoller geht’s ja auch kaum im Theater.
Baggerlügen
Zu Beginn hatte der Junge einen ziemlich pfiffigen Plan entworfen. Weil der eigene Bagger, langweilig gelb und nach einem notdürftig von Mama geklebten Schaufelbruch komplett marode geworden war. Eine Lachnummer im Sandkasten, selbst für seine Freundin Eileen. Deswegen wollte Alfi das olle Gefährt stiekum entsorgen, in einer Plastiktüte, in irgendeiner Mülltonne. Gleichzeitig aber wollte er bei der Polizeistation gegenüber vom Kindergarten eine offizielle Vermisstenmeldung aufgeben. Mit dem amtlichen Dokument würde er Mama sehr viel leichter zum Kauf eines neuen Baggers überreden können, nicht nur wieder zu einer lausigen Reparatur.
Der Verlust des Spielzeugs ist also nur ein Fake. Dank einer deutlich übermotivierten Polizistin begegnet der Junge in der Folge lauter Geschichten von wirklichem (und elend schmerzhaftem) Verlust. Das Abenteuer des Kindes mausert sich zum gar nicht so komischen Welttheater der Verzweiflungen. Prägnanter noch als beim sehr erfolgreichen dramatischen Erstling „zwei herren von real madrid“ überwölbt Leo Meier den vordergründig überschaubaren Plot mit Szenarien von apokalyptischer Tiefe und sehr beunruhigender Energie.
Verlust von Leben
Alfi trifft Menschen, die leiden, weil sie wirklich etwas verloren haben, das wohl unersetzlich ist. Die durchgeknallte Polizistin vom Beginn, ein Gutmensch par excellence, entdeckt im kleinen Jungen (den sie für einen zukünftigen Nobelpreisträger hält, so geschickt kann er rechnen!) eine Menge all jener Träume wieder, die sie womöglich selber nicht realisieren konnte. Als sie und Alfi das Fundbüro aufsuchen, fördert der Chef (oder die Chefin) dort gerade den toten, also „verlorenen“ Opa aus einer jener leeren, aber rätselreichen Kisten, die den Boden der Vorbühne bilden.
Sie sind übrigens erst zu sehen, wenn sie herausgehoben werden. Darunter hat Bühnenbildnerin Jelena Nagorni einen echten Sandkasten aufgeschüttet. Gegenüber vom Fundbüro hat jemand eine knallgelbe Jacke vergessen, mit Portemonnaie drin und einem Liebesbrief. Er ist der nächste, der auftaucht in Alfis Welt. Seine Geschichte (die einer verlorenen Liebe) ist besonders tragisch, weil sie hier nicht erzählt werden darf – sie passt nicht zur Fabel vom Bagger.
Von Traum zu Alptraum
Geschickt mischt Meier Wirklichkeit und Traum. Mit Freundin Eileen aus dem Kindergarten fantasiert Alfi vom Fliegen. Dabei sieht der Junge die Mutter in einem Zug sitzen. Und sie weint. Warum? Verlässt sie gerade Familie und Kind? Das ist eine der Spuren, die Meiers Fantasie nicht weiter verfolgt. Aber statt der Mutter sucht den Jungen jetzt eine Oma wie aus dem Rotkäppchen-Märchen auf. Der konnte das Kind wohl nie etwas recht machen.

Zwischen Realität und Wirklichkeit. Foto: Sebastian Hoppe
Und schließlich landet Alfi in zwei echten Alpträumen. Ein wahlkämpfender (und ziemlich ungeschickter) Politiker und das zugehörige Kampagnen-Helferlein wollen das Kind als Musterknaben ins Team holen. „Kinder sind unsere Zukunft“ lautet ihr Motto. Und dann landet Alfi mit Hilfe der Polizistin (die die Baggersuche zum „Politikum“ aufplustern will) in einer schrillen Reality-Show, in der Menschen vom eigenen Verlust berichten, um Hilfe aus dem Publikum zu erhalten.
Gutes Ensemble für guten Text
Das ist ein fabelhafter Text. Jurorinnen und Juroren für den nächsten Drama-Preis in Mülheim sollten ihn unbedingt lesen und sich die Uraufführung von Matthias Reichwald in Dresden sowie möglicherweise weitere Inszenierungen anschauen. Fürs Erste macht Reichwald alles richtig. Die so einfach daherkommende Fabel treibt er sehr schnell (und dank Jelena Nagornis Bühne, den Kostümen von Ira Storch-Hausmann sowie der Musik mit dem Trio um Jens-Karsten Stoll) hinaus und hinüber in die Abstraktion. So gewinnt der „Überbau“ immer mehr an Gewicht und Bedeutung – diese klug und effektvoll sortierte Sammlung der Geschichten von tatsächlichem Verlust an Leben und Sinn in verschleißreichen Zeiten.
Das Ensemble stürzt sich förmlich in die Geschichte. Hans-Werner Leupelt vorneweg als Kind Alfi, frech, beharrlich und sehr nachdenklich unter dem wirren Wuschelkopf. Ihm gegenüber Karina Plachetka, deren Polizistin nur so explodiert vor gutgemeinter Energie. Anna-Katharina Muck und Sven Hönig zeichnen wechselnde Rollen zwischen Fundbüro, Polit-Kampagne und Rotkäppchen-Oma. Das ist fabelhaft anzuschauen und hilft auch über ganz seltene textliche Kurzzeit-Schwächen hinweg. Im berührendsten Moment darf Ahmad Mesgarha, dieses grandiose Dresdner Urgestein, als Mann mit der verlorenen Liebe ausgerechnet von ihr nicht erzählen. Diese Idee ist wirklich meisterlich. Mesgarha macht aus diesem Nichts ein Kunststück der sehr besonderen Art.
Ganz alte Zeitzeugen mögen sich vielleicht ein wenig erinnert fühlen an einen anderen Bagger – den mit dem „Baggerführer Willibald“ am Steuer. Der erz-linke Liedermacher Dieter Süverkrüp aus Düsseldorf erfand ihn 1970 – und ließ ihn vom Unrecht im Kapitalismus erzählen: Wer ein Haus bauen hilft, kann mit dem Lohn nur selten eine Wohnung in diesem Haus bezahlen. Leo Meiers Bagger-Kind Alfi, Willibalds Erbe sozusagen, lernt, dass selbst kluge Pläne dem Leben im Verlust keine wirklich neue Richtung geben können.
Auch diese Suche hat ja nicht ins Glück geführt – nur in den Traum.