Toshiki Okadas "The Vacuum Cleaner"

Leben im Vakuum

Toshiki Okada: The Vacuum Cleaner

Theater:Münchner Kammerspiele, Premiere:12.12.2019 (UA)Regie:Toshiki Okada

Ein „Vacuum Cleaner“ ist ein Staubsauger auf englisch, nur dass es irgendwie mystischer klingt. Ein Staubsauger saugt Staub, klar. Ein Vacuum Cleaner aber reinigt durch ein Vakuum. Oder aber: er reinigt das Vakuum? Der japanische Autor und Regisseur Toshiki Okada, der nun sein viertes Stück an den Münchner Kammerspielen inszeniert, spielt durchaus mit der zweiten Bedeutungsvariante, wenn er seine Uraufführung „The Vacuum Cleaner“ nennt. Wieder mal geht es – nach der sexuellen Abstinenz junger Menschen in „No Sex“ – um ein Verhaltens-Phänomen: die Hikikomori. Ungefähr eine Million Menschen in Japan haben sich vollkommen aus der Außenwelt zurückgezogen. Sie arbeiten nicht, sie wohnen bei ihren Eltern und verlassen ihr Zimmer nur selten, die Wohnung gar nicht. Ihr Rückzugsort: eine terra incognita in den eigenen vier Wänden. Ihr Leben: „ohne Bezug zu irgendwas“.

Die weißen Sneaker, die zu Beginn ordentlich vor dem Reispapier-Schachtel-Haus stehen, das Dominic Huber entworfen hat, sind ein schönes Bild für eine Gesellschaft, die sich die Ordnung nicht erst mit Marie Kondo zum obersten Prinzip gemacht hat. In diesem Land, in dem das Mittagessen ästhetisch in Bento-Boxen angerichtet und die Socken nach Farben sortiert werden, ist ein Staubsauger elementarer Bestandteil des modernen Lebens. Und so macht Julia Windischbauer in der Titelrolle gleich mal den Anfang und schildert die Welt, also das Haus, aus der Staubsauger-Perspektive. Schon in ihrem Anfangsmonolog wird deutlich, was die Arbeiten von Okada so besonders machen: der liebevolle Blick auf skurrile Figuren und Details wie die Geräusche von eingesaugten Socken, Mini-Handtüchern oder USB-Sticks. Und schon ist man mittendrin in einer geschlossenen Welt mit ihren ganz eigenen Routinen. Oben im Haus wohnt die Tochter, die irgendwann während ihres Studiums beschlossen hat, ihrer Umwelt den Rücken zu kehren. Seitdem schaut sie im ehemaligen Elternschlafzimmer an die Decke, saugt einmal am Tag Staub und schreit ihren Vater an. Durch den Boden, ohne ihm persönlich zu begegnen: „Du hast mich doch gar nicht erzogen!“ Annette Paulmann liegt mal merkwürdig verrenkt auf einem Podest, dann tanzt sie durch den Raum und unterhält sich mit dem Vacuum Cleaner, der ihr eigenes Vakuum nicht zu reinigen vermag, darüber, ob ihr Vater sie eines Tages umbringen wird. Oder sie ihn.

Dieser Vater versucht, der 24/7-Belagerung seines Hauses zu entkommen, indem er sich mit seinen 80 Jahren auf den Straßen herumtreibt und so viel wie möglich redet. Über Kaffeesorten, die nach Erdbeeren schmecken; über Menschen, die Car-Sharing-Autos mieten, um darin ein Nickerchen zu machen. Walter Hess tanzt wie befreit vor seinem Haus, während er von all diesen Alltäglichkeiten erzählt. Erst wenn er  eintritt, lähmt ihn das Wissen um seine 50-jährige Tochter im Obergeschoss, die Angst vor ihrer nächsten Staubsauger-Schrei-Attacke und dem, was die Nachbarn denken. Seine Frau ist gestorben, sein jüngerer Sohn träumt von Saõ Paulo, wo die Straßenbäume nicht „unterdrückt“ werden, sondern „frei wuchern“ können. Damien Rebgetz spielt ihn, der seine Tage lieber auf Bänken in Einkaufspassagen oder Bibliotheken verbringt als zuhause. An kostenlosen Orten in der Stadt. Zwar verlässt er das Haus, doch ist auch er ein Außenseiter in der Gesellschaft. Wie sehr diese von Leistungsdruck und Funktionieren-Müssen geprägt ist, wird durch den Besuch von Hide, einem Freund des Sohnes, deutlich. Der kommt in Gestalt von Thomas Hauser in diesen Mikrokosmos Familie, berichtet von der Arbeit im Amazon-Lagerhaus, vom Waren-Picken, Normerfüllungsquoten und Ranglisten. Ein „Scheißhaufen“ von einer Arbeit. Ist es nötig, da hineinzuspringen? Kann das die Alternative sein?

„The Vacuum Cleaner“ ist leiser als „No Sex“, die Vorgängerinszenierung Okadas, bedrückender. Erzählt wird von Kindern, die nicht flügge werden, sich dem Erwachsenenleben verweigern. Und von Eltern, die sich und ihnen nicht zu helfen wissen. Okada und sein Ensemble begegnen ihren Figuren mit großer Empathie und Zärtlichkeit, stellen sich nie über sie. Tutia Schaad hat sie in Kostüme gesteckt, die in ihrer Expressivität und Farbigkeit eine Sehnsucht ausdrücken, die sich hier nicht erfüllt. Hier ist alles geprägt von Erwartungen und Enttäuschungen. Je mehr von einem, desto mehr auch vom anderen. Dieses eine Leben, das nicht stattfindet und alle anderen beherrscht, stellt unaufhörlich auch die Frage nach dem Sinn des Ganzen.

Okadas Geschichte spielt in Japan. Er zeigt eine Gesellschaft unter enormem Druck, in der irgendwie alle den Wunsch haben, dem für eine kurze oder eben sehr lange Zeit zu entkommen. Eine Leistungsgesellschaft, die in einem übermächtigen Stillstand kulminiert. Und in der Scham über das eigene Versagen, das sich in der Verweigerung der Tochter manifestiert. Okada begegnet dem Thema ernst, aber nicht ohne Augenzwinkern. Das Ende macht wieder der Vacuum Cleaner. Der ja im übrigen auch eher selten das Haus verlässt.