Foto: Michael Volle (Oberpriester des Dagon), Staatsopernchor und Tänzerinnen © Matthias Baus
Text:Joachim Lange, am 25. November 2019
Musikalisch lohnt sich Camille Saint-Saëns‘ „Samson et Dalila“ allemal. Nicht ohne Grund hat sich das 1877 in Weimar uraufgeführte Werk im Repertoire gehalten. Kein Dauerbrenner, aber immerhin. An die Staatsoper nach Berlin, als einem der Häuser, die auf Luxusbesetzungen zurückgreifen können, passt sie gut. Daniel Barenboim schwelgt denn auch mit der Staatskapelle geradezu im Wogen der Streicher. Bei den Chören kraftvoll und bei den Protagonisten sensibel, kommt man, wenn es nötig ist, mit Konzentration auf seinen Beitrag über die szenischen Durststrecken hinweg. Und die gibt es reichlich. Michael Volle stemmt seinen phanatischen Chef-Priester wie immer fast autonom mit seinem Bühnencharisma, verbindet seine raumfüllende, gestaltende Stimmpracht mit einer Selbstinszenierung en miniature.
Für das große Liebesduett zwischen Samson und Dalila, das schließlich in eine Fragepenetranz Dalilas übergeht, die mit der von Elsa vergleichbar ist, mit der die im Brautgemacht auf Lohengrin losgeht, bereitet Barenboim erst einen Klangteppich für die beiden aus, um dann das Unheil aufziehen zu lassen. Diese Seite des Abends ist ein echter Gewinn. In dieser Szene lässt auch Mezzo-Star Elīna Garanča ihre Stimme erstrahlen, nachdem sie anfangs merkliche Grenzen hatte, in den (reichlichen) tieferliegenden Passagen ihrer Partie ebenso zu überzeugen, wie mit ihrer leuchtenden Mittellage und strahlenden Höhe. Brandon Jovanovich war da in der Rolle des in die Falle gelockten Kraftprotzes vokal ausgeglichener. Wenn man sich die phänomenale Ebolie der Garanča in Paris ins Gedächtnis ruf, weiß man, was sie eigentlich drauf hat und erkennt sie in Berlin kaum wieder. Kann gut sein, dass die Lettin über weite Strecken als Eisprinzessin rüberkam, weil das die Absicht der Regie war.
Aber was heißt hier schon Regie! Dass die Hebräer im Stehen singen, wenn sie laut ihrer Aussage auf Knien flehen, hat im ersten Teil fast schon Methode. Da scheinen sich alle auf ‚Passion in Kostümen‘ geeinigt zu haben. Rumstehen und gemessenes Schreiten reichen da völlig. In der Geschichte von Samson und Dalila beklagen die Hebräer zum Auftakt ausführlich, dass sie von ihrem Gott verlassen sind. Die Bühne in der Staatsoper scheint da zumindest von allen guten Theatergeistern verlassen zu sein, die hier schon mal die Hand im Spiele hatten.
Den ersten Auftritt hat ein Hund. Dem gefällt es, denn er will diesen Ort zwischen Pappmaschee- (oder Styropor?) Felsen links und in Stein gehauene Mauern samt Fenstern rechts, gar nicht wieder verlassen. Verschwindet aber doch irgendwann auf nimmer Wiedersehen von der Spiel (bzw. Steh-)fläche mit ein paar Sukkulenten. Im Hintergrund: Projektionen mit Wolken oder Sternen. Je nach Bedarf. Samt einer höchst merkwürdigen Himmelsmechanik. Da taucht plötzlich eine Mondscheibe auf (für die Sonne wird es nicht hell genug), die in einer Beschleunigungszeitblase in einem Affenzahn von links unten nach rechts oben wandert und verschwindet. Irgendwann hängt sie als Kugel am linken Rand einfach so rum, um sich schließlich – wenn Samson auf der Bühne dauernd „ich liebe dich“ (auf französisch) singt und Dalila ihn auffordert, sie zu berauschen, während sie in Wirklichkeit an seine Haare, sprich unbesiegbare Kraft, ran will – in einer Waagerechten von links nach rechts zu bewegen. Kann sein, dass das irgendetwas zu bedeuten hat, vielleicht ist es die Ordnung der Dinge, wenn die Bühnenwelt (im übertragenen Sinne) wieder zur Scheibe geworden ist und die Regie-Zeitmaschine bei ihre Reise in die Vergangenheit irgendwo bei den alten Griechen stoppt.
Aber im Ernst. So viel Filmkulisse im Stil der 50er und 60er Jahre auf eine Opernbühne zu versetzten und die Sänger als Hebräer und kriegerische Philister so ins Sandalenfilm-Klischee zu pressen, das erlebt man hierzulande wirklich nicht alle Tage. Eigentlich überhaupt nicht mehr. Das muss man sich trauen. Oder es unterläuft einem. Dabei sind sowohl der Bühnenbildner Étienne Pluss als auch Kostümbildnerin Gesine Völlm ausgewiesene Könner in ihrem Fach. Was übrigens auch für den Choreographen Tomasz Kajdansky gilt. Diese Staatsopern-Inszenierung beweist immerhin, dass es letzten Endes doch auf den Regisseur und eine gescheite Idee ankommt.
Nun könnte man den Kulissenkitsch, die Melange aus Rumstehen und Klischeegesten ja noch als Atempause im allgemeinen Deutungsfuror hinnehmen. Wenn der vor allem mit diversen Telenovelas ausgewiesene, 1975 geborene Argentinier Damián Szifron nicht ausgerechnet dann, wenn er doch zur Aktion greift und im Dagon-Tempel der Philister in einer rituelle Massenhinrichtung den gefangenen Hebräern mit Säcken über den Köpfen von als Mördern missbrauchten Kindern die Kehlen durchschneiden lässt, also mit Bildern, mit denen sich ein Triumph der Barbarei von heute ins Gedächtnis einbrennen will (und eingebrannt hat) als historische Folklore verramschen würde. Wenn man zu solchen Mittel greift, muss es hergeleitet sein, passen und eine Absicht verfolgen. Dass Samson am Ende zwar die Marmorsäulen lädiert, aber nichts einstürzt, dürfte die Fanatiker der anderen Seite so wenig beeindrucken, wie einen Großteil des Publikums. Da war die Deutsche Oper mit ihrer „Samson und Dalia“ Produktion vor acht Jahren auf einem szenisch deutlicher ambitionierten Niveau gescheitert.