Szene aus "Das Wundertheater"

Kriegslust und Verachtung in neuem Gewand

Viktor Ullmann / Hans Werner Henze: Der Kaiser von Atlantis / Das Wundertheater

Theater:Theater Pforzheim, Premiere:19.02.2022Regie:Thomas MünstermannMusikalische Leitung:Robin DavisKomponist(in):Viktor Ullmann / Hans Werner Henze

Die Situation im Pforzheimer Stadttheater, wo zwei buchstäblich aus dem Rahmen fallende Kurzopern Premiere haben, scheint (nicht nur wegen coronabedingter Einschränkungen) gespannt und absurd. Da ist zum einen mit Viktor Ullmanns und Peter Kiens „Der Kaiser von Atlantis oder die Tod-Verweigerung“ ein beklemmendes Dokument verzweifelter Kreativität im Angesicht des drohenden gewaltsam zu erleidenden Todes. Komponist und Librettist haben ihr Stück über das Sterben als jüdische Insassen im „Vorzeige-KZ“ Theresienstadt 1944 aberwitzig geschrieben und geprobt. Wenige Monate später wurden beide in Auschwitz von Nazi-Schergen ermordet.

Zum anderen bietet Hans Werner Henzes „Das Wundertheater“ (nach einem Intermezzo von Miguel de Cervantes) einen ironisierenden Blick auf die von Hitlers Krieg traumatisierten Menschen und auf schreckliche Vorgänge mit autoritären Herrschern, die sich jederzeit wiederholen können. Ullmann und Henze entfalten mit ihrem Musiktheater geradezu prophetische Gleichnisse, deren Bühnen-Umsetzung eine Herausforderung für Ensemble und Publikum darstellt. Umso erstaunlicher, dass dem nach dieser Spielzeit ausscheidenden, öfters Regie führenden Theater-Intendanten Thomas Münstermann, dem eine Vorliebe für populär-publikumsfreundliche, revuehafte Musicals und Operetten nachgesagt wird, mit der Inszenierung dieser sperrigen Werke – einschließlich ihrer gesamten Ausstattung – Glanzstücke moderner Opern-Regie gelungen sind.

Der Tod verweigert den Dienst

Peter Kiens „Legende in vier Bildern“ lässt keinen Zweifel daran, wer mit dem größenwahnsinnigen, mordlüsternen Kaiser Overall, der von seinem Trommler den „Krieg aller gegen alle“ hinaus posaunen lässt, gemeint ist. Da ekelt sich sogar der Tod und beschließt, niemanden mehr sterben zu lassen. Zwei Feinde werden ein Liebespaar, Soldaten streiken. Aber auch die Erlösung tritt nicht mehr ein: „Todwunde ringen mit dem Leben, um sterben zu können.“

Auf der dunkel-düsteren, schräg ansteigenden Blackbox-Bühne lässt Münstermann seine Akteure in Brecht’scher Verfremdungsmanier wie Puppen agieren. Der schwarz eingekleidete Jedermann-Tod philosophiert mit einem knallbunt ausstaffierten, hofnärrischen Harlekin. Zwischen Bunker-Mauern eingegraben agiert Kaiser Overall und verdeckt sein Gesicht mit symbolisch verzierten Larven. Der von Zeit zu Zeit in einem Lichtfenster der Bühnenrückwand erscheinende „Lautsprecher“ verkündet zynische Ordres. Im Spotlight lieben sich eine Soldatin und ein Soldat der jeweils feindlichen Armeen und versuchen vergeblich, gemeinsam zu sterben.

Die Dissonanzen und rhythmischen Härten der Ullmann-Komposition werden von einem kleinen Instrumental-Ensemble der Badischen Philharmonie Pforzheim unter der Leitung von Robin Davis farbenreich fluktuierend, pointiert und spritzig ausformuliert. Auch diese sprunghaft turbulente Musik charakterisiert die Figuren. Kurt Weills Song- und Tanzstil liegt in der Luft. Solche Einflüsse waren offenbar prägender als die Atonalität Schönbergs, dessen Schüler Ullmann war. Mit tragendem Bass intoniert Dieter Goffing den Tod, während Santiago Bürgis Harlekin mit einer gewissen Anstrengung als messerscharfer Metall-Tenor singt.

Kalt schneidig tönt Lukas Schmid-Wedekind auf seinem „Lautsprecher“-Posten. Erstaunlich melodisch, fast anrührend erklingt das Liebes-Duett der beiden uniformierten Soldaten mit Dirk Konnerth und (lyrisch schön) Stamatia Gerothanasi, schrill schneidend dagegen Marie-Kristin Fichtners Trommler-Einwürfe. Hymnisch erscheint die Apotheose: Während Paul Jadachs Kaiser Overall fast nackt (in Unterwäsche) geradezu arios-baritonal aufgibt und enden will, stimmt ein Chor in verblüffender Gelassenheit ein elftes Gebot als Schluss-Choral an: „Du sollst den großen Namen Tod nicht eitel beschwören.“

Antisemitismus in des Kaisers neuen Kleidern

Der Plot von Hans Werner Henzes früher Kurzoper „Das Wundertheater“ adaptiert in gewisser Weise Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Der Text lebt freilich vom Witz und von der Sprachkunst des spanischen Klassikers Cervantes, der komödiantisch hintergründig vor allem antisemitische Vorurteile gegen das sephardische Judentum seiner Zeit aufgreift. Chanfalla und seine Partnerin Chirinos, Impresario und Impresaria eines Schmierentheaters, laden die obere Stadtgesellschaft – Gouverneur, Bürgermeister, Ratsherren und ihre Töchter – zu einer Vorstellung ein, in der allerlei Wunder gezeigt werden sollen. Der Trick dabei: Die Wunder können nur von Menschen gesehen werden, die nicht „neuchristlichen Blutes“, also nicht Nachkommen „konvertierter Juden“ sind. Nun tun alle so, als würden sie die angekündigten, aber bloß vorgetäuschten Wunder-Erscheinungen, den alttestamentarischen Riesen Samson, einen wilden Stier, ein Mäuse-Heer oder die tanzende Herodias sehen und erleben. Ein Soldat, der den Schwindel durchschaut und alle Anwesenden für verrückt erklärt, wird als einer von jenen „Juden-Bastards“ totgeschlagen.

Instrumental und gesanglich wird die Henze-Oper mit gleicher Verve und ähnlicher Anmutung wie das vorherige Stück, von denselben Sängerinnen und Sängern dargeboten. Philipp Werner als Theater-Direktor, Helena Steiner als singende Kontrabassistin, Elisandra Melián und Jina Choi als Ratsherren-Töchter und Thorsten Klein als Soldat kommen hinzu.

Einleitend präsentierte sich der Pforzheimer Verein Kultur Schaffer e.V., eine theaterbegeisterte Laienorganisation, als dörflicher Kirchenchor und interpretieren (auch hebräische) Volksweisen und Kirchenlieder. Die Bühnenschräge hat sich in eine luftige, grasgrüne Spielwiese verwandelt, alle Figuren sind mit altspanischem Kostüm-Flair ausgestattet, ihre aufgeregte Spielweise scheint der venezianischen Commedia dell’Arte entlehnt.

Die Kombination der beiden Stücke zu einem Theater-Abend ist eine kongeniale Idee des Regisseurs. In sinnfälliger Weise erinnert Münstermann damit auch an die Zerstörung Pforzheims durch Luftangriffe am 23. Februar 1945 mit Tausenden von Toten. Bedrückend die ungewollte, kriegsdräuende Aktualität.