Foto: Szene aus "The People United" © Thomas Schermer
Text:Melanie Suchy, am 24. Juni 2024
Richard Siegal zeigt mit seinem Ballet of Difference seine vorerst letzte Arbeit am Schauspiel Köln, ehe diese Kooperation mit den Städtischen Bühnen endet. „The people united“ vereint stilistisch vieles seiner bisherigen Arbeiten – und man wünscht dem Werk ein Weiterleben.
Das Schauspiel Köln hatte seit 2019 eine Tanzkompanie. Ihre Ära geht nun zuende. Das Ballet of Difference, wie sein Gründer Richard Siegal sein Ensemble nannte, hatte 2016 mit einer Kooperation zwischen München, wo er wohnte, und Köln gestartet, war dann fest ans Schauspiel angesiedelt mit einem Vertrag für drei Jahre, der um ein Jahr verlängert wurde. Künftig sollen die Städtischen Bühnen aber wieder eine reguläre Tanzkompanie haben; die Leitung schrieb die Stadt im Oktober 2023 aus. Noch wurde keine Entscheidung veröffentlicht. Und das Tanzprogramm Tanz Köln an den Bühnen für die kommende Spielzeit weist wieder nur Gastspiele aus.
Die vier Jahre des Ballet of Difference waren ein Erfolg, was den Publikumszuspruch anging: Das Depot 1 und das Depot 2 des Schauspiels waren stets rappelvoll. Die ganz unterschiedlichen Stücke, die der gebürtige Amerikaner Richard Siegal für die Tänzerinnen und Tänzer und mit ihnen schuf, begeisterten, bei aller hohen Qualität, die Kritikerin mal weniger, mal mehr. Zum „Mehr“ gehört diese letzte Tat, nein, zum „Meisten“ – neben der überraschenden Corona-Streaming-Produktion „All for one and one for the money“ Ende des Jahres 2020.
Beides: Tanz und Ballett
„The people united“ fährt weder Show auf noch forciert lächelndes Abschiednehmen, sondern ist ein ganz ernsthaftes Stück und das mit Live-Musik. Eigentlich sieht es aus wie ein Anfang. Es zeigt eine schöne Vielfalt an Bewegungsideen, ohne damit anzugeben. Wie ein „Das alles ist Tanz, ist Ballett, das weiß man doch?!“ Es ist wohl diese Vielstimmigkeit, welche titelgemäß die „Völker vereint“. Eben kein fettes Unisono, wenn, dann superkurz; etwas länger nur beim winzigen Rechts-Links-Swing von Hüfte und Knien mit an Beckenknochen gelegten losen Fäusten.
Zu Beginn tragen alle elf Tänzerinnen und Tänzer unterschiedliche Schuhe, von pompösen Sneakern bis Pumps. Sie lassen das aber schnell sein zugunsten einfacher Socken. Zurück zum Boden der Tatsachen. Die Spitzenschuhe, nützlich fürs kämpferische Erheben übers Alltägliche, wie es bei Siegal zuweilen aussah, hängen im Foyer als Ausstellung, ausgemustert. Der neuen, letzten Choreografie aber wünscht man, dass Siegal sie nicht wegräumt, sondern woanders weiterleben lässt, denn wegen vieler Weggänge und Wechsel wirkte seine derzeitige Kölner Truppe nicht mehr so schneidig wie früher.
Mit Hand, Haar und Hintern wedeln
Siegal pflückt sich für „The people united“ auch Momente aus seinen früheren Stücken. Aber alles fügt sich gegenwärtig und scheinbar unangestrengt aneinander. Den Anfang machen koboldige Wesen, die laufen, ihr Bein hochwerfen, sich auf die Fußballen erheben, mit Hand, Haar oder Hintern wedeln, wenden, drehen oder mal zuschauen, die Brust herauswölben, den Rücken rückbiegen, die Nähe suchen, sich entfernen. Sich solistisch verzwirbeln oder zu zweit einen Tango verrücken. Später erscheinen ballettklassische Figuren von Arabesquen und Attitüden oder ausgeklügelte Komplikationen der Gelenkrichtungen à la William Forsythe.
Ein Tänzer hebt das Knie, fasst mit den Händen unter den Fuß, der dann auf den Boden haut. Dies wird zu einer Art Signatur des Stückes, die vielleicht eine Kraft, Schlagkraft meint, die aus großer innerer Anspannung entsteht. Oder einen Bezug zum Boden.
Ein andermal stellen die Tänzer:innen eine flache Hand vor die Stirn wie eine Maske. Ein Tänzer schiebt seine rechts vor der Hüfte und schnitzelt, als schüttele er einem Gegenüber geschäftsmäßig die Hand. Die wirklichen Berührungen gestaltet der Tanz – erst später im Stück – eher sanft. Die Hände bieten sich an, Hände fassen Hände, lösen sich ganz unsentimental, hier ein Pas de deux, dort eine engere Reihe. Nichts krallt.
Hebungen in „The People United”. Foto: Thomas Schermer
Sensibel ist auch die Verbindung zur Musik, wunderbar aufmerksam, indem der Tanz Impulse aufnimmt, als fiele ein Steinchen in ein Wasser, andere aber für sich klingen lässt, während das Bewegen sich Freiheit nimmt. Respektvoll pausiert es dann auch, wenn am Flügel auf der Bühne zu viel los ist.
Dort erfreut sich Mert Yalniz, Jahrgang 2003, großartiger Meisterschüler von Igor Levit, der das Projekt mit Siegal ausgeheckt hat, an den titelgebenden 36 Variationen von Frederic Rzewski von 1975. Mit sanften und radikalen Übergängen, Klängespielen, rabaukigen Akkorden, zerfallenden Harmonien, Sirren, Klingeln und Grollen. Den Revolutionsgeist, den die aufregende Komposition grundsätzlich beschwört, setzt der Tanz klugerweise nicht in gereckte Fäuste um. Sondern er singt ein Hoch aufs Aufrechtsein, Wachsamsein, Beisammensein, auf die Kunst.