Zum Stolpern dunkel ist’s denn auch beim Einlass: Mehr Strom können die Fahrradfahrer nicht erzeugen, die leise surrend in die Pedale ihrer aufgerüsteten “A-Frame-Standfahrräder” treten und kinetische in elektrische Energie umwandeln. Die straßentauglichen Räder der beiden Schauspieler sind auf hohe schwarze Podeste montiert, über denen ein Deckel schwebt, der die Aufbauten wie die Transportboxen eines Fast-Food-Lieferdienstes und zugleich wie Sarkophage wirken lässt. Hergestellt sind sie aus gepresstem Recyclingmaterial, wie man es in der gelben Tonne findet; das Programmheft listet mit politisch korrekter Akribie Sahnebecher, Chipstüten, Plastiktüten und Spraydosen. Eine schöne Metapher hat Bühnenbildnerin Chloe Lamford damit gefunden für Tragik wie Banalität der Selbstauslöschung der Spezies Mensch.
An eine frühere Inszenierung knüpft Katie Mitchell mit “Atmen” an, “Ten Billion”, das 2012 auch zum Festival in Avignon eingeladen war. In einer Performance Lecture ließ Mitchell den Computer- und Neurowissenschaftler Stephen J. Emmott über den drohenden Bevölkerungskollaps referieren. Mit “Atmen” beleuchtet sie nun die Individualebene und reflektiert das schlechte Gewissen des aufgeklärten westlichen Materialisten, der Kaffee aus Fairtrade-Handel trinkt, seinen Müll trennt und doch mit dem Auto zum Möbelhaus fährt, um ein Kinderzimmer einzurichten.
Verlieren Er und Sie das erste Kind durch eine Fehlgeburt, treffen sie sich nach längerer Trennung wieder, Sie wird schwanger, mit einem kurzen Schrei Mutter – und im Zeitraffer, wie zuvor mit minimalem Wechsel von Intonation und Haltung einen Szenenwechsel andeutend, überspringen Er und Sie im Gespräch wie im gemeinsamen Leben Jahre um Jahre. Schließlich hört erst Er, dann Sie mit dem Treten auf und die pedalbetriebenen Halogenlampen verlöschen. Es herrscht wieder Höhlendunkel. Ob das die Zukunft des Theaters ist?