Foto: Keumbyul Lim und Thúy Nga Ðinh in "So glücklich, dass du Angst bekommst" am Theater Chemnitz © Dieter Wuschanski
Text:Ute Grundmann, am 7. November 2021
Sie suchten eine bessere Zukunft – und landeten in der DDR. Was im Westen etwas freundlicher „Gastarbeiter“ hieß, waren im Osten „Vertragsarbeiter“ – mit befristeten Verträgen und rigiden Regeln. Davon und von ihrem Leben in zwei Welten erzählen nun drei Chemnitzer Frauen mit vietnamesischen Wurzeln in „So glücklich, dass du Angst bekommst“: Ein bewegend-spannendes Mensch-mit-Figuren-Theater.
„Wir lächeln, verstehen nix, machen keinen Ärger.“ So kommt es den drei Frauen noch heute über die Lippen und so hatten es sich die DDR-Oberen wohl gedacht, als sie die „sozialistische Bruderhilfe“ in Anspruch nahmen. Die weißhaarige Thị Như Lâm Nguyễn sitzt auf der Studiobühne in der Mitte. Mit bunten Stoffbahnen tun alle drei, „was Frauen so tun“: nähen. Ihre Arbeit in Scharfenberg aber sollte ganz anders sein: dreckig und laut.
Doch das erschließt sich erst nach und nach in Miriam Tscholls starker Inszenierung, in der Menschen und die Puppen von Atif Hussein wirklich zusammenspielen. Wenn Lâm von ihren beiden Töchtern erzählt, fragt ihr jüngeres Puppen-Ego erstaunt „Aha?“. Denn sie hat das noch vor sich. Trägt Ngọc Bích Pfaff eine gepunktete Bluse, ist „ihre“ Puppe in den gleichen Stoff gekleidet und wird von zwei Spielerinnen zum Tanzen gebracht. Das gibt Handlung und Text von Dagrun Hintze eine gewisse Leichtigkeit, aber schafft auch Nähe und Emotion.
Genau darauf aber sollten die Vertragsarbeiterinnen aus Vietnam verzichten: Drei Monate Deutschunterricht (einfach mal zuhören: verboten), ein Studium in der Heimat zählte nicht, Kinderkriegen war verboten („mit dem Delegierungsauftrag nicht zu vereinbaren“). Dabei wollte auch Thúy Nga Ðinh nur nicht „so wie unsere Eltern“ leben müssen.
Viele Ideen, kaum Freude
Das und vieles mehr erfahren die Zuschauer ab 15 Jahren in Deutsch und Vietnamesisch – die Übertitel wechseln sich immer wieder ab. Das ist nicht die einzige Besonderheit dieser 100 Minuten: Die Puppenspielerinnen (Linda Fülle, Keumbyul Lim) agieren und sprechen mit. Claudia Acker mischt sich als Tante einmal ein, als Nga vom Vater verprügelt wird. Die Stoffbahnen werden zum schmutzigen Fluss, aus dem die Frauen Fische fangen, um sie im Leitungswasser zu halten. Doch dieses Wasser ist zu sauber, die Fische sterben. Der ungewohnte Schnee kommt aus der Zuckertüte, der Krach von Fräse und Zerspaner auf Knopfdruck. So wird immer deutlich Theater gespielt – was die Berichte der drei Frauen aber nicht leichter macht.
Denn der Titel des Stücks löst sich eigentlich nicht ein: Freude gibt es selten, Angst dafür umso mehr. Erst vor den Regeln, Verboten und Strafen in der „CHDC“ (so die vietnamesische Abkürzung für die DDR), nach deren Ende vor dem, was der neue Staat brachte. Im Wohnheim wurden ihre Habseligkeiten in den Keller geräumt. Niemand sagte Lâm etwas von Arbeitslosengeld, sodass ihr nur Flaschenpfand und Sozialhilfe blieben. Bích durfte nur bleiben, weil sie einen deutschen Mann heiratete, der später ihr Geld verzockte – vor dem ersten Rendezvous schminkt sich die kleine Puppe noch.
Spätestens hier werden die Lebensgeschichten persönlicher, aber nicht so politisch wie zuvor. Erschreckend, wie gleichmütig die vietnamesisch-stämmigen Chemnitzerinnen über die „Wende“ sprechen: Die sei nur für Deutsche, heißt es. Vom Alltagsrassismus, den die Mutter erlebte, spricht erst ihre Tochter Húòng, in einem Video fast am Ende des Stücks. In einem sind sich Lâm, Nga und Bích einig: Sie lieben den Märchenfilm „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, den sie einst im Kino in Hanoi sahen. Zu einem Märchen aber sind ihre Leben nicht geworden.
(Die Kritikerin sah die Generalprobe am 5. November 2021.)