Regisseur Alexander Riemenschneider inszeniert in Bremen Franz Kafkas Roman "Das Schloss".

Kafka auf dem Laufband

Franz Kafka: Das Schloss

Theater:Theater Bremen, Premiere:20.09.2015Regie:Alexander Riemenschneider

Ja, ist denn das Theater ein Heilbad? Jedenfalls wölbt sich eine riesige Kurparkkonzertmuschel über die Bühne. Alexander Riemenschneider und die siebenköpfige tschechische Kafka-Band laden zur Live-Präsentation eines Konzeptalbums – ergänzt um professionelle Schauspieler.

Vertont und rezitiert wird Franz Kafkas unvollendeter Roman „Das Schloss“ (1922), der dem Theater reizvolle Widerstände entgegensetzt: kaum Handlung ist im Angebot, ein rätselhaft verschlossenes Personal erzählt bruchstückhaft von unerklärlichen Verhältnissen, die der Logik des Albtraums folgen. Eine das soziale Leben überwuchernde Willkür der Schloss-Behörden wird vorstellbar: die Tyrannei endloser Aktenwege. Die Figuren scheinen in diesen absurden Zusammenhängen und dem Gefühl permanenter Überwachung gefangen, was sie weder überwinden noch ignorieren können.

Landvermesser K. wird als Fremder in diese hermetische Gemeinschaft engagiert, die behauptet, seine Arbeit und auch Gäste würden nicht benötigt weswegen Gastfreundschaft, Willkommenskultur auch nicht zum Verhaltensrepertoire gehört. K. wird abgelehnt, bleibt ein Überzähliger. Das ist die Grundsituation. „Der Winter ist bei uns lang und auch im Sommer fällt manchmal Schnee“, heißt es zur düsteren Atmosphäre der Ausweglosigkeit. Die wird mit Kafkas Worten – mal in Tschechisch, mal in Deutsch – und mit rhythmisch fein ziseliertem, an- und abschwellendem Melancholie-Poprock intoniert, dabei angenehm melodieselig zum Schweben gebracht.

Auch die Regie verweigert naheliegende Interpretationen, beispielsweise die labyrinthische Architektur der Erzählung als Signatur einer pessimistisch reflektierten Bürokratie-Moderne oder tagesaktuell als Migranten-Parabel zu nutzen – und geht stattdessen spielerisch vor. Mit ständigen Rollenwechseln des Ensembles wird die Handlung in modellhafte Szenen zerlegt, das Thema Fremdsein variiert in Fragen nach Identität, Erfahrungen der Vereinnahmung und der Ausgrenzung, des Ankommens und Ausgeliefertseins.

Besonders viel Aufmerksamkeit erfährt K.s Versuch, seine Verwirrung in den Armen einer Frau zu befrieden. Bis sich herausstellt, dass ihre erotische Attraktivität auf dem amourösen Kontakt zu einem Herrn aus dem Schloss beruht, dem eine gewisse Zuständigkeit für den Fall K. nachgesagt wird. Aber in den Besitz einer Antwort, welchen Auftrag er zu erfüllen habe, kommt K. nicht. Auch ein anderer Kontaktmann der Mächtigen des Schlosses, Barnabas, wirkt hilflos wie ein Bote Godots.

Riemenschneider formt all das zu einer existenziellen Grundsituation. Die Darsteller von K. & Co. reden von Freiheit und stehen am Bühnenrand auf Laufbändern – joggen sich müde ohne voranzukommen. „Wir laufen durch die Nacht und nichts kann uns aufhalten.“ Warum? Wohin? Egal, Hauptsache: laufen … Der Weg ist unendlich. Sinnlos? Per Videoprojektion verschwimmen jedenfalls die Buchstaben der Kafka-Sätze und purzeln auch durcheinander. Während K. vergeblich versucht, das Chaos zu ordnen, Orientierung herzustellen in diesem mysteriösen Dasein. Wobei Alexander Swobodas  K.-Version besonders beeindruckend zwischen Unterwürfigkeit und Lebenshunger schillert, schließlich wie ein Rumpelstilzchen in Punk-Shouter-Manier hüpfend den Refrain seiner Kontaktsuche zu den Schloss-Oberen brüllt: „Warum ist das unmöglich?“

Ab und an schlägt Riemenschneider zwar ausstattungsmäßig über die Stränge, lässt den Helden mal als gold glitzernden Bodybuilder auftreten und im Astronautenkostüm einen Ort in der Fremde erobern. Im Großen und Ganzen aber gelingt ihm, ohne tiefschürfende Auseinandersetzung, ein Theaterabend zur lässigen Erstbegegnung mit dem Stoff. Das Ineinanderblenden von Spiel- und Musikszenen funktioniert hervorragend. Es entsteht ein szenisches Konzert, bei dem die Klänge den Worten die Schwere nehmen, so dass man beschwingt wie selten einen Kafka-Abend verlässt.