Szene aus Roman Novitzkys "Impuls"

Impulse des Lebens und der Liebe

Roman Novitzky, Andreas Heise, Fabio Adorisio: Creations I – III

Theater:Stuttgarter Ballett, Premiere:30.11.2019 (UA)

Viel ist im mystischen Dunkel nicht auszumachen. In der Luft schwebt ein schräger Kubus, darunter schiebt sich ein Männerarm über eine Art Pult. Das Ganze umgibt ein Leuchtring, der sich zu erheben beginnt, während es langsam heller wird. Prompt entpuppt sich das Pult als große Rahmentrommel, der Mann als Musiker. Es ist der Percussionist Marc Strobel, der bald die unglaublichsten Klänge aus dem Instrument holen wird, grad so, als wäre ein Orchester auf der Bühne des Schauspielhauses. Dort ist erstmals „Creations I – III“ zu sehen, ein Abend der Uraufführungen, die drei Choreographen der jüngeren Generation für das Stuttgarter Ballett geschaffen haben. Und Roman Novitzky, Erster Solist der Compagnie, eröffnet diesen mit seiner Kreation „Impuls“ zu Live-Musik. Denn der Titel ist Programm: Novitzky erforscht, wie sich Musik und Tanz, Bewegung und Klang beeinflussen. Strobel liefert die Komposition „Monolith“ dafür und spielt in der puren, futuristisch anmutenden Lichtkulisse von Yaron Abulafia, als gäbe es kein Morgen. Grandios auch die Tänzer, Schlag auf Schlag, Schritt für Schritt – erst reduziert, dann sich ins Dramatische steigend – stets in den Bann ziehend. Strobel reibt und kratzt zunächst mit Händen und Nägeln über das Leder, intensiviert die Klänge, schwächt sie wieder ab, dazu verharrt eine Tänzerin im weitbeinigen, ärmellosen Overall (Vittoria Girelli) unter dem schwebenden Kubus. Der ist nun zum Lichtbalken geworden, wirft eine helle Gasse auf den Boden. Dann folgt der Befreiungsschlag – die Restbühne wird lichter, weitere Frauen (Aurora De Mori, Minji Nam) und Männer (Adhonay Soares da Silva, Ciro Ernesto Mansilla, Alessandro Giaquinto, Mattei Miccini) liefern sich kraftvolle Duette und Trios, kicken mit den Beinen, springen akrobatisch im Handstand über den anderen, beugen sich tief zurück, wiegen sich als Gruppe zur Seite, lassen allein Arme und Hände sprechen. Gebogene Ellbogen, vibrierende Finger folgen erwartungsvoll den Beats Strobels, eine Tänzerin versucht sich gar selbst an der Trommel. Der Musiker hat längst die Sticks in der Hand, tanzt selbst am Instrument im rasanten Rhythmus, während sich ein zweiter Lichtkubus wie ein Beobachter aus einer anderen Welt auf das Spektakel senkt. „Impuls“ ist ein grandios leidenschaftlicher Auftakt, einem Fanal gleich!

Ruhiger geht es weiter. In „Lamento“, wie in der Renaissance und im Barock Klagelieder hießen, begibt sich Andreas Heise in die Antike. Der Wahlberliner, der in Leipzig bei Uwe Scholz und im Norwegischen Nationalballett als Solist tanzte, wo er auch choreographisch debütierte, spürt dem Mythos von Odysseus und seiner Angetrauten Penelope nach, die durch den Trojanischen Krieg und seine – allseits bekannte – Irrfahrt 20 Jahre getrennt waren. In Stuttgart schickt dafür Agnes Su, Paula Rezende, Diana Inonescu, Hyo-Jung Kang als Penelopes beziehungsweise Athena auf die Bühne. Henrik Erikson, Louis Stiens und Martì Fernández Paixà geben den griechischen Held im roten Frack über hautfarbenen Leotards. Die mythologischen Figuren werden von drei Paaren getanzt, um dessen drei Lebensphasen – junges Glück, Trennung, Wiedervereinigung – zu zeigen. Zur Auftragskomposition des norwegischen Barockviolinisten Bjarte Eike: Er ließ sich zu „Lamento della Coppia“ von der Musik Claudio Monteverdis und Anthony Holbournes inspirieren. Auch bei Heise macht das Licht (Johannes Schadl) die Kulisse, mehr noch als zu Beginn: Am Anfang schiebt sich Athene aus einem Lichtspalt im Vorhang rückwärts auf die Bühne, die danach kulissenfrei ist. Dort begegnen sich die – auch hier auf den Punkt ausdrucksstark – Tanzenden klassischer: in Gruppen, kraftvollen Pas de Trois, insbesondere jenes der Männer auf der Odyssee, und freilich Pas de Deux’. Bewegend ist jenes des Wiedersehens, das Su und Paixà nicht nur brillant, sondern auch mit viel Gefühl geben.

Kälter geht es in der dritten Kreation zu. In Eisblau und Grau kommen Bühne und Kostüme (Thomas Mika) bei „Calma Apparente“ daher, von Udo Haberland kunstvoll in ebensolches Licht getaucht. In „scheinbar ruhig“, so die Übersetzung des Titels, bezieht sich Choreograph und Halbsolist Fabio Adorisio auf das italienische Sprichwort „Stendere un velo pietoso“: „einen Schleier des Mitleids über etwas Negatives ausbreiten“. So steht in der Eröffnungsszene eine Tänzerin im Papierschleier wie im Designerkleid mit bombastischer Schleppe. Dieser, an der Decke hängend, gemahnt an Gletscher, Felswände oder wolkenbehangene Himmel. Kaum aus dem papiernen Bausch herausgetreten, gibt er frei, was vorher nicht auszumachen war: weitere sieben Tanzende, die wie leblos auf dem Boden liegen. Klimawandel und Umweltprobleme? Der Gedanke passt. An tote Vögel habe er gedacht, so Adorisio. Und dass Probleme lange „unter den Teppich gekehrt“ wurden. So lässt er seine Wesen denn auch um den Lebensraum kämpfen. Da wird zur Elektro-Musik von Kevin Keller, dem Rockriffs von Bryce Dessner, Gitarrist der Band The National, sowie den barocken Klängen von Georg Friedrich Händel, einzeln und in Gruppenkonstellationen gebeugt, gedreht, sich verkeilt, weggestoßen, aufgelöst – immer weg von der geraden Ballettkörpermitte in Forsythe-Manier. Keine einfache Bewegungssprache, in der Elisa Badenes, Shaked Heller und David Moore besonders überzeugten. Am Schluss finden sich alle wieder ein in den papiernen Fetzen, um gemeinsam ein Zeichen der Hoffnung und Menschlichkeit zu setzen – bis der Vorhang fällt. Adorisio setzt auf Effekte. Besonders überzeugend ist er aber, bei den feinen Pas de Deux’ und Trois’. Überzeugt hat Abend durch das Kontrastprogramm, zeigt er doch, in wie vielen Welten das Stuttgarter Ballett zuhause ist.