Foto: Claudia Rohrbach und Wolfgang Stefan Schwaiger als Geschwister Scholl © Paul Leclaire
Text:Andreas Falentin, am 23. Oktober 2016
Die junge griechische Regisseurin Niki Ellinidou hat im letzten Jahr den renommierten „Europäischen Opernregie-Preis“ gewonnen. Die Auszeichnung war mit der Möglichkeit verbunden, den Wettbewerbsgegenstand an der Kölner Oper zu inszenieren, deren Intendantin Birgit Meyer Mitglied der Wettbewerbsjury war.
Allerdings erweist sich Udo Zimmermanns in der gespielten Fassung 1986 uraufgeführte „Weiße Rose“ als nicht eben dankbare Aufgabe. Über eine Stunde lang spielen die auch heute noch erschütternden Vorgänge um Widerstand, Verhaftung und Hinrichtung der Geschwister Hans und Sophie Scholl im hochfliegenden Libretto von Wolfgang Willaschek keine Rolle, sind lediglich als inhaltlicher Rahmen obligatorisch vom Publikum mitzudenken. Komponist und Librettist scheint vor allem die private Extremsituation zu interessieren. Zwei junge Menschen sind außer sich geraten angesichts des nahen, unvorstellbaren Todes. Nach schmerzhaftem Ringen gewinnen sie ihre Fassung, vor allem ihre Würde zurück und verabschieden sich versammelt vom Leben. Hat man sich durchgerungen, diesen künstlerischen Rückzug auf die Gestaltung privater Nöte, wenn nicht zu goutieren, zumindest zu akzeptieren, erwischt einen ein wie angeklebt wirkender Appell-Epilog kalt. Plötzlich erklingt von der Trompete angeführte Agitprop-Musik im Pseudo-Brecht-Weill-Stil und Hans und Sophie Scholl rufen dazu auf, über Unrecht jederzeit zu sprechen, dagegen durch Reden anzugehen. Das sind fünf Minuten Musiktheater, die in ihrer brachialen Plakativität heute wie aus der Zeit gefallen daherkommen, schlicht: schwer verdaulich.
Es gehört zu den Stärken von Niki Ellinidous Inszenierung, dass sie diesen Bruch nicht zuschminkt, nicht wohlfeil ironisiert, oder durch Videobilder sinnlos vergrößert. Sie lässt den Epilog genauso sachlich konzentriert ausagieren, wie die Stunde davor. Nefeli Myrtidi hat einen grauen, schwarz verblendeten Guckkasten ins Kölner Staatenhaus gestellt, so schmucklos wie möglich. Hier lenkt nichts von den hoch konzentriert, geradezu streng geführten beiden Darstellern ab. Jeder Schritt, jede Geste konturiert ihre Beziehung, lässt in ihre Seele blicken oder ist, hier manchmal ein wenig zu unscharf, symbolisch aufgeladen. Ellinidou setzt Willascheks poetischem Ansatz wenige, starke Bilder entgegen, konfrontiert ihre Figuren mit den Elementen, mit Wasser, Sand, Licht – in Form einer großen Glühbirne -, dem Raum an sich, der plötzlich für einen Moment ganz klein wird. Im letzten Drittel, als Hans und Sophie zu sich zurück finden, wird die Rückwand transparent und dahinter agierende Statisten gestalten, im Wortsinn: schemenhaft, andeutungsweise Ängste, Erinnerungen und Gefühle der Protagonisten.
Die werden von Claudia Rohrbach und Wolfgang Stefan Schwaiger grandios gespielt und gesungen. Rohrbach lässt ihren Sopran lyrisch aufblühen aber auch hysterisch aufflackern, lässt Töne wächsern verwehen, macht die Stimme ganz schmal, ganz spitz und ist auch in den ausgedehnten Dialogpassagen jederzeit präsent. Schwaiger gibt seiner in der hohen Baritonlage angesiedelten Figur neben großer Ausstrahlung und bestechender Artikulation vor allem viel stimmliche Elastizität mit. Sein Hans wirkt von Anfang an ruhiger, fatalistischer als seine Schwester. Grandios auch die Leistung der 15 Musiker des Gürzenich-Orchesters, die 15 verschiedene Instrumente spielen, also alle auch solistisch gefordert sind. Arne Willimczik stellt die introvertierte Dynamik dieser Musik, die auf der klassischen Moderne aufsetzt, immer wieder mal „Pierrot Lunaire“ und „Wozzeck“ aufzusuchen scheint, sich momentweise postmodern verspielt gibt, aber letztlich doch eigene, klarem Ausdruck verpflichtete Wege einschlägt, intensiv, klangschön und vor allem – auch hier – hoch konzentriert her. Vielleicht eignet sich „Weiße Rose“ eher für eine konzertante Aufführung. Musikalische Substanz ist allemal vorhanden.