Verfallsstudien

Gothic light

Philip Glass: The Fall of the House of Usher

Theater:Theater Koblenz, Premiere:10.03.2017Autor(in) der Vorlage:Edgar Allan PoeRegie:Waltraud LehnerMusikalische Leitung:Leslie Suganandarajah

Der Beginn verspricht Besonderes. Die bibbernde Sprechstimme Roderick Ushers, äußerlich ein blondierter Dorian Gray, und die suggestiven Schwarz-Weiß-Videos von Georg Lendorff verbinden sich mit der elegant und unnachgiebig um sich selbst kreisenden Musik zu einer selten starken, strengen Atmosphäre. Dann dröhnt die Stimme Williams, des Gastes, aus dem Publikum. Er sucht sich seinen Weg durch die Stuhlreihen auf die Bühne. Einer von draußen, einer von uns wagt sich mutig, durch Freundschaft bewegt, ins Dunkel.

Der Vorhang hebt sich. Das ernüchtert. Zu brav sehen sie aus, diese grauen, rational ausgestatteten Gemächer auf der Drehbühne. Bei näherem Hinsehen allerdings erweisen sich Details als Widerhaken. Der ins Esszimmer ragende Miniaturbalkon, in dem Madeline, Rodericks Schwester sitzt wie in einem Käfig, das hoheitsvoll gerundete Kirchenfenster im spartanischen Schlafgemach. Alles stimmt nicht. Auch was Junho Lees Arzt und Jongmin Lims Diener immer wieder Verrücktes mit ihren Körpern anstellen, mag man nicht mit dieser Gothic-light-Szenerie zusammenbringen. Und das soll man auch nicht. Hier ist eben alles ver-rückt. Hier wird in Endlosschleife gelebt, perspektiv- und geschichtslos rinnen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinander. Der Verfall ist ein innerer und das Draußen ein Sehnsuchtsort. Waltraut Lehner zeigt das mit starken Bildern, die immer dann frappieren, wenn sie geheimnisvoll bleiben, wenn man nicht erkennt, wie sie aus Libretto und literarischer Vorlage abgeleitet sind oder diese illustrieren wollen. Aber genau an dieser Nahtstelle setzt ihre Umdeutung an. Hatte Poe den Roderick Usher als sein Alter Ego konzipiert, ist hier der Gast der einzig Dunkelhaarige – und das eigentliche Opfer. Am Ende erscheint die blutüberströmte (hier rot beperückte), lebendig begrabene Schwester nicht, um das Ende des Hauses zu besiegeln, sondern um den Eindringling zu meucheln. Und Roderick entschwindet verrückt kichernd von der Bühne. Nach draußen. Ins Draußen. Vielleicht hat er alles geplant als selbstsüchtigen Befreiungsschlag, schon mit seinem einleitenden Brief.

Obwohl sich ein wenig zu viele konventionelle Zutaten hineinmengen, die Weiterentwicklung und Transformation der starken Atmosphäre zu oft der Vermittlung der Handlung untergeordnet wird, was Assoziationsräume eher schließt, verlaufen die 90 Minuten packend. Leslie Sunganandarajah dirigiert seinen ersten Glass präzise und locker, als beschäftigte er sich täglich mit Minimal Music. Er holt aus den vielen Wiederholungen etliche melodische und rhythmische Kleinstmotive heraus, die sich im Hörerohr festkrallen, bei jeder Wiederkehr intensiver. Auch die Rheinische Philharmonie geht in der ungewohnten Aufgabe auf, mit hinreißendem Fluss, trotz leicht wackelnden Solo-Blechs. Nico Wouterses William besticht durch schiere Kraft in fast jeder Hinsicht, Juray Hollys Tenor hat die widerspenstigen Kanten wie die leisen, anrührenden Töne für den Roderick und Ella Tyran singt alle ihre Vokalisen in der gleichen berstend gespannten und doch anmutig fließenden Wut, um im letzten Ton ihre Stimme aufreißen zu lassen wie ein Vulkanausbruch. Selbst die drei als Madelines Alter Ego kostümierten Statistinnen beeindrucken mit ihrer großen Energie. Hier zeigt ein kleines Haus wirklich, was es kann.