Foto: Jürgen Tarrach und Jan Thümer in „Luther“ bei den Wormser Nibelungenfestspielen © David Baltzer
Text:Björn Hayer, am 17. Juli 2021
Luther – ein Mann, ein Wort, ein Spalter, wie wir ihn heute fürchten würden oder ein Visionär, wie wir ihn derzeit erst recht bräuchten? Über den großen Reformator gegenwärtig zu sinnieren, birgt erhebliches Potenzial. Erst recht, sollte man meinen, wenn das Stück wie im Falle der diesjährigen Uraufführung bei den Wormser Nibelungenfestspielen allein seinen Namen trägt. Doch was der Georg-Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss damit textlich vorlegt, ist letztlich eine bloße Farce, in der der strittige Kopf selbst einem Mysterium gleicht. Selbst bekommen wir ihn nicht zu Gesicht. Dafür lernen wir in drei Stunden allerlei Vertreter einer verkommenen Adelskultur kennen.
Goldenes Parkett, goldene Badewanne und goldene E-Scooter schmücken die Bühne. Dass sich im Hintergrund jedoch nur vergoldete Gerüste statt schillernder Fassaden zeigen, hat seinen Grund. Denn der brandenburgische Hof um den Kurfürsten Joachim (Jan Thümer) ist verarmt und hoch verschuldet. Doch weder die unter Zwang vollzogene Heirat mit der Prinzessin von Dänemark, Elisabeth (Julischka Eichel), noch der von seinem Bruder Albrecht (Jürgen Tarrach) betriebene Ablasshandel spülen wirklich Geld in die Kassen. Aus Sicht des Usurpators hilft daher nur noch ein eisernes Durchregieren. Seine Frau vergewaltigt er, seinen Bruder positioniert er als Bischof, mit den Sachsen sucht er den offenen Konflikt, zumal sie den anfangs noch unterschätzten, rebellischen Augustinermönch Luther frei gewähren lassen. Und der Papst? Der weiß nicht einmal, wo Worms und der Rhein liegen und ergeht sich den lieben langen Tag in der Fütterung eines Elefanten mit Gugelhupf. Schließlich tritt dann noch die geschundene Elisabeth den Lutheranern bei und auch ein neuer Kaiser muss bald schon gewählt werden. Und und und.
Obwohl Bärfuss‘ Stück derart verwinkelt ausfällt und zahlreiche Handlungslinien parallel laufen lässt, erzählt es wenig. Wenn Albrecht sich im goldenen Grill Würstchen zubereitet oder der Joachim sich gern auf seine goldene Rutsche schwingt, dann werden wir allein der Verkommenheit und Dekadenz einer Politkaste gewahr. Hinzu kommt, erwartungsgemäß für ein Lutherstück, ein Quantum Kapitalismuskritik. So darf der Cola-Getränkeautomat auf der Bühne neben einem Kiosk, in dem der sächsische Fürst Friedrich (Barbara Colceriu) mehr oder weniger mit allerlei Devotionalien residiert, nicht fehlen.
Aufgehübscht wird die reichlich leere Farce durch allerlei Effekthascherei einer sichtlich um bunte Bilder bemühten Regie. Mal tanzt man zur Tetrisversion der Bach’schen Badinerie oder Madonnas „Like a Virgin“. Mal vernimmt man die Melodie des Wilden Westens. Dazwischen DJ-Sounds vom eigenen Mischpult auf der Bühne. Und während korrupte Pläne zur Nachbesetzung des Kaisers gesponnen werden, trällert der bigotte Papst mit seinen Kumpanen „Vom Himmel hoch, da komm ich her“. Plakativ, um nicht zu sagen: billig, fallen diese Manöver aus. Statt dem lediglich in wenigen ausdrucksstarken Momenten verhandelten Kampf um die innere Überzeugung, mithin der großen Gewissensbotschaft Luthers Raum zu geben, zeugt die Bühnenshow von einer Vorabend-Soap-Oper. In ihrem Marienhof light zieht Regisseurin Ildikó Gáspár alle Register einer sich sinnhaft nicht einlösenden Aktualisierung. Durch die Omnipräsenz von Handy und Telefon wird der historisch angelegte Text irgendwie ins Hier und Heute versetzt. Dabei sehen wir die Telefonierenden in geteilten Projektionen auf einer gigantischen Leinwand in der Mitte der Bühne. Man legt auf, ruft wieder an. Gebimmel überall. Sollte sich dahinter eine tiefere Medienkritik oder -philosophie verbergen, so dürfte sie uns entgangen sein. Von Luthers Bekenntnis vor 500 Jahren vor dem Wormser Reichstag, seine Schriften nicht zu widerrufen, ist bei den Nibelungenfestspielen nur eine aufgeblasene Pop-Posse übrig geblieben. Wenn man doch wenigsten über den Slapstick würde lachen können. Aber selbst schlechter Humor will eben gekonnt sein.