Ruben Albelda Giner, Dunja Jocic, Bojana Mitrovic, Gili Goverman, Yvonne Weschke und Cristian Setién in "Mirage" von Guy Weizman und Roni Haver.

Gewusel zwischen den Zeitebenen

Guy Weizman/Roni Haver: Mirage

Theater:Oldenburgisches Staatstheater, Premiere:23.10.2011 (UA)

„Let’s do the time warp again!“ An dieser fidelen Art der Zeitspringerei, bekannt aus der „Rocky Horror Show“, versuchen sich Guy Weizman und Roni Haver in ihrer neuesten Kreation „Mirage“ – eine stationäre Produktion der Tanzcompagnie Oldenburg, gleichzeitig aber auch einstudiert für eine Tournee mit dem „Club Guy & Roni“-Ensemble. Bekannt ist das Choreografen-Duo dafür, große Themen in einem großformatigen Bilderreigen hemmungslos zu entkrampfen und mit einem energiegeladenen, manchmal gar akrobatischen Tanz der Stilbrüche bis zur Unkenntlichkeit zu verkleinern – dabei aber stets bestens zu unterhalten. Und das gelingt erneut in einer üppigen Inszenierung:

Im 70er-Jahre-Disco-Design wird die Bühne durch quer gespannte, transparente Seil-Vorhänge separiert. Da das Thema Zeit im Mittelpunkt des Abends steht, sollen so wohl parallele Zeitebenen entstanden sein, in die sich das Ensemble hübsch gestaffelt einsortiert. Auf der Hinterbühne, in der fernen Vergangenheit also, werden Motionsfolgen initiiert, setzen sich nach vorn in Spiegelungen und Variationen fort, enden immer an der Rampe – mit einem Bewegungsvokabular verhauchenden Daseins. „No, no“, bitte nicht sterben, rufen dann alle Tanzenden und zerren den jeweils Todgeweihten zurück. Ein temporeiches Gewusel hebt an – mit Zeitraffer vorwärts, Zeitlupe rückwärts, zeitstrudeligem Fallen, Rollen, Springen. Alle versuchen alle vor dem Gang zur Rampe zu schützen. Klar, der Tod ist Motivation, am rücksichtslos kontinuierlichen Vorwärtsstreben der Zeit herumzumanipulieren.

Eine andere Motivation ist die Jungbrunnen-Sehnsucht. Weizman/Haver lassen entzückend ironisch Reborn-Soli zelebrieren: lustvolles Recken, Strecken, Kopf in Nacken, das Entdecken von Körper und Bewegung mit jugendlichem Hip-Hop-Übermut, das Probieren von Rollen, das Suchen von Grenzen, um sie zu verletzen. Wieder andere würden gern vorgestern noch einmal vorbeischauen, um eine Entscheidung anders zu fällen, eine im Hass beendete Beziehung wieder auf Liebe zurückstellen. Da tanzt dann ein Mann mit zwei Frauen, die ihm immer sterbensgleich wegkippen aus den Umarmungen und Liebkosungen. Er kann aber nicht loslassen. Jeder mag eine 2. Chance verdient haben, nur: Er kriegt sie nicht. Außer in der Fantasie. Dort, so wird tanzspielerisch vorgeführt, sind Menschen, die die Zeit hinfort gespült hat, noch einmal oder endlich einmal da – und werden sofort mit Verführungskünsten eingesponnen.

Um solchen Erotik-Kitsch zu ironisieren, tanzt das ganze Ensemble Chers „If I could turn back time“-Video nach. Auch andere Fundstücke aus Pop- und Rockmusik zum Thema vermixt David Dramms Soundtrack mit Beethovens doch so freudiger 2. und 9. Sinfonie. Während Weizman/Haver ihre Lesefrüchte wie Überschriften zu den Tanzszenen gesellen. Und auch eine ganz moderne Zeitreisen-Sehnsucht artikulieren lassen, den Wunsch, auf mehren Ebenen präsent zu sein: „Ich will die Erfahrung eines 90-Jährigen haben, den Körper eines 25-Jährigen, das Charisma, das ich mit 38 haben werde, so geil sein wie mit 16, den Mut wie mit 3 und die Träume, die ich mit 11 hatte.“ So zügellos hin und her, kreuz und quer wirkt auch die Inszenierung. Sie konfrontiert Erinnerungen z. B. ans klassische Ballett mit Chaos und Aggressivität der Hektik-Moderne, kontrastiert knallbunte Oberflächlichkeit und rezitierten Tiefsinn, kommt nie auf den schmerzhaften Punkt der Zeiterfahrung, aber immer leichtfüßig, geradezu als improvisierte Humoreske daher: „time warps“ à la Weizman/Haver.