Das Dresdner Ensemble in „The Fantasticks“

Geplatzte Seifenblase

Tom Jones, Harvey Schmidt: Die Fantasticks

Theater:Staatsoperette Dresden, Premiere:10.06.2021Regie:Kathrin KondaurowMusikalische Leitung:Peter Christian Feigel

Matt sucht das große Abenteuer, Luisa nur einen Bach zum Schwimmen – und natürlich einen sicheren (Ehe-)Hafen. So gehört sich das für frau. Unter dem schillernden Titel „The Fantasticks“ geht es eigentlich um eine banal-alltägliche Liebesgeschichte zwischen Nachbarskindern. Aber neben den Autoren Tom Jones/Harvey Schmidt bemüht sich auch Kathrin Kondaurow bei ihrer ersten Regie, dem Stück einen doppelten Boden einzuziehen. Der aber gerät ziemlich holprig.

Ein Musical ist ein heiteres Singspiel. So steht es im Duden. Was aber, wenn es auf der Bühne weder heiter zugeht noch besonders viel gesungen wird? Vielleicht findet sich deshalb im Programmheft keine Gattungsbezeichnung, nur der Monatsspielplan nennt „The Fantasticks“ ein Musical. Das aber kommt schwer in die Gänge, auch wenn zu Beginn die Türen knallen. Die hat El Gallo (Christian Grygas) zugeschmissen, der abschätzend den Saal abschreitet, dessen Frack so finster ist wie seine Miene. Abgelöst wird er von einem rabenschwarzen Bösewicht-Ballett, das im Seitschritt salutiert oder den Vogel zeigt, je nach Sichtweise. Grygas darf dann – nach dunklem Klavier-Intro – singen, was hier „Kulthit“ genannt wird: „Denk‘ an die Zeit im September…“ („Try to Remember“). Man wird ihm noch einige Male begegnen.

Der knapp zweistündige Abend beginnt damit so spröde wie es Esther Dandanis Bühnenbild ist: In zwei schwebenden Kästen sind Luisa (Laila Salome Fischer), Matt (Gero Wendorff) und ihre Daddys Huckelbee (Marcus Günzel) und Bellomy (Bryan Rothfuss) untergebracht. Das bisschen Geheimnis der dünnen Handlung wird viel zu früh verraten: Die Väter hetzen gegen das Paar, damit es ganz sicher zusammenkommt. Doch das ist so wenig nachzuempfinden wie die Mauer zu sehen ist, die die Liebenden trennen soll. Die Väter überzeugen vor allem, wenn sie komisch sind – bei einem Rollschuh-Pas-de-deux etwa. Zur prägnanten Figur macht Grygas seinen Gallo mit leisen Tönen und Ironie.

Schließlich werden abgehalfterte Mimen (Dietrich Seydlitz, Markus Liske) engagiert, die à la „Lass mich den Löwen auch spielen“ die Liebenden klauen, also trennen. Doch das meiste wird nicht erlebt oder erspielt, sondern erzählt, oft von Grygas. Die Textpassagen sind so lang, dass die deutschen Übertitel aussteigen und erst zu den viel zu wenigen Gesangsnummern wieder erwachen.

Im Graben dagegen tut sich Ungewöhnliches: Kein satter Sound, sondern Klavier (Eve-Riina Rannik), Harfe (Simone Geyer), Schlagzeug (Clemens Amme), Kontrabass (Marco Antonio Arriagada Chacón) und weitere Tasteninstrumente (Feigel) setzen klingende Akzente, geben Wege nach Noten vor. Doch auch mit diesem Pfund weiß die junge Intendantin der Staatsoperette nicht zu wuchern: Die Musik – das Klavier vor allem – hat weit mehr zu sagen als die Darsteller spielen und ausdrücken dürfen.

Und so schleppt sich, was der Buchstabenvorhang als „El Gallos Show der Träume“ anpreist, mühsam dahin, bleibt bei Stehtheater und „Tableaus“ – wie Grygas erklärt und das Konzept so umreißt – hängen.

Wie um das wettzumachen, übernimmt im zweiten Teil der Beamer die Regie. Für die nun vereinte, aber nicht glückliche Familie sind die zwei Kästen zu einem zusammengeschnurrt. Auf „Es ist heiß“ folgt ein Wüstenvideo, mit einem Karussellpferdchen führt El Gallo die jungen Menschen durch eine wild bebilderte Phantasiewelt, auch geküsst wird per Film. Die Unzulänglichkeiten summieren sich: Auf das Stilett-Ballett im ersten Teil antwortet Matt nun mit einem Taschenmesserchen; Luisa und Gallo müssen zeigen, dass eine schmale Leiter keine Showtreppe ist; Luisa außerdem, dass güldene Turnschuhe (zu bravem Kleidchen) nicht zum Spitzentanz taugen. Und wenn Gallo dem Mädchen befiehlt: „Nimm die Maske“, schmeißt die irgendwas ein und die Videopilze wachsen. Dazu eine Neuübersetzung von Nico Rabenald, die „Eigenheim“ auf „Haferschleim“ und „dumm“ auf „Gymnasium“ reimt.

Die 215 Zuschauer im 700-Plätze-Saal beklatschten dankbar jeden der wenigen Songs und natürlich die Seifenblasen, die Grygas, gar nicht düster, in die Luft pustet.