Foto: Live it up: Diskoszene in "Falling In Love" © Nady El-Tounsy
Text:Ralf Stabel, am 12. Oktober 2023
Mit „Falling | In Love“ feierte am Friedrichstadt-Palast Berlin eine neue Grand Show der Superlative Premiere, mit Kostümen des Designers Jean-Paul Gaultier, Swarowski-Kristallen und viel farbenfroher Diversität – eine Form der Überwältigung, der kaum zu widerstehen ist.
Der Ansturm war enorm. Ganz Berlin und seine Gäste schienen gestern in dieses Theater zu wollen. Noch beim geplanten Vorstellungsbeginn glich das Haus einer belagerten Festung. Denn der Palast hat es wieder getan – eine Show der Superlative herausgebracht: die neue Grand Show mit dem Titel „FALLING | IN LOVE“.
Funkelndste Grand-Show aller Zeiten
Mit über 14 Millionen Euro Budget sei „Falling | In Love“ die teuerste Produktion in der Geschichte des Palastes, heißt es. Und geworben wird mit 100 Millionen Swarovski-Kristallen im Kostüm- und Bühnenbild, die allein schon ein Weltrekord für die funkelndste Grand Show aller Zeiten seien. Wenn es eine Theater-Olympiade gäbe, dieses Haus hätte sie vermutlich längst gewonnen.
Plädoyer für Vielfarbigkeit
Kreativdirektor und Regisseur des Hauses Oliver Hoppmann hat folgende Idee von Intendant und Produzent Berndt Schmidt zur Show umgesetzt: ein gehörloser und vom Kostümbild her farbloser, weil weiß gekleideter Poet (Callum Webdale), genannt YOU, gelangt nach Diamond-City. Dort herrschen drei Farben mit ihren gesanglichen Protagonist:innen: Blau (Jara Buczynski), Grün (Floor Krijnen) und Rot (Marc Chardon). Es gibt mit der Rolle der Me (Laura Panzeri) noch eine schwarze „Gegenspielerin“ zu You – eine Außenseiterin, die nicht weiß, was Liebe sein soll. In bester Theatertradition werden die Protagonist:innen in fulminanten Bildern mit Gesang und vor allem mit Tanz des großartigen Ballett-Ensembles vorgestellt. Alle plädieren für ihre Farbe, damit auch der Poet sie in sein Leben lasse. Als Höhepunkt und als eine Art Deus Ex Machina erscheint eine silberne Leit-Figur namens Leon (Olivier St. Louis). In der rasanten Disco-Szene „Live it up“ hat der Poet dann auch endlich eine Art Coming out, kommt aus sich raus und tritt ein in die Welt des Tanzes und der Musik – und damit also in das Leben. Dass Me und You am Ende in gegenseitige Liebe verfallen, versteht sich bei diesem Titel von selbst.
Bei der Liebe ist es oft so, dass sie auf den ersten Blick „einschlägt“. Beim Entree dieser Show entscheidet es sich also. Und dieses Entree ist so einnehmend gestaltet, dass es schwer fallen wird, sich nicht in diese Show und ihre Darsteller:innen zu verlieben.
„Falling | In Love“ soll gute Laune verbreiten und motivieren, sich selbst anzunehmen und das Leben im Hier und Jetzt zu gestalten und zu genießen. Der Friedrichstadt-Palast fährt dafür auch wieder technisch alles auf, was das Haus zu bieten hat: Hebebühnen, Lichteffekte vom Feinsten, Wasserbecken, Fontänen und und und. Doch zum eigentliche Star des Abends werden die Kostüme von Jean Paul Gaultier – gerade durch die Darsteller:innen und Effekte.
Reizüberflutung und Ruhepole
In all dieser Reizüberflutung braucht es und gibt es auch Ruhe-Pole. Im ersten Teil ist es ein sogenannter „Sanddorn Balance Act“. Andreis Jacobs Rigolo schichtet von der Schreibfeder des Poeten ausgehend immer größer werdende hölzerne Stäbe im perfekten Gleichgewicht übereinander und erschafft so – Holz für Holz – eine erstaunliche schwebende Konstruktion. Der Saal schweigt, hält den Atem an. Man könnte die sprichwörtliche Nadel zu Boden fallen hören. Als diese Konstruktion schlussendlich auf einem einzigen Stab schwerelos dahinzugleiten scheint, tobt das Publikum, vor Begeisterung stehend.
Was früher einmal Girlreihe hieß, heißt heute Kickline – auch, weil die Girls ganz im Sinne der Diversität, die sich das Haus sichtbar auf die Fahne geschrieben hat, „Verstärkung“ von ihren männlichen Kollegen bekommen haben. Ballettdirektorin und Choreografin Alexandra Georgieva hat für die stilistisch sehr unterschiedlichen Tänze dieser Show weitere zehn Choreograf:innen an ihrer Seite.
Die Inszenierung setzt auf effektvolle Überwältigung. Und damit ist sie wirklich zeitgemäß: Sie ist zugleich auch ein Plädoyer für eine kunterbunte Welt, in die jede und jeder und jedes eine ganz individuelle Farbe einbringt. Das Premieren-Publikum hatte die Aufforderung bereits ernst genommen und erschien farbenfroh und divers.