"Geschichten aus dem Wiener Wald" mit Marianne und Zauberkönig

Etwas sehr zarte Abgründe

HK Gruber: Geschichten aus dem Wiener Wald

Theater:Bregenzer Festspiele, Premiere:23.07.2014Autor(in) der Vorlage:Ödön von HorváthRegie:Michael SturmingerMusikalische Leitung:HK Gruber

„Wien zartbitter“ hat der scheidende Intendant David Pountney als Motto der diesjährigen Festspiele gewählt. Die eröffnende Uraufführung – die Vertonung von Ödön von Horváths bösem Schauspiel „Geschichten aus dem Wiener Wald“ durch das Wiener Multitalent HKGruber – ließ eher „galle-bitter“ erwarten: Horváth dachte in den 1930er Jahren an eine Vertonung durch Kurt Weill – und der 71-jährige Heinz Karl Gruber ist ein anerkannter Brecht-Weill-Interpret, dazu einer der gegen die typisch „Weana Gmüatlichkeit“ kabarettistisch und künstlerisch bissig ansingt und ankomponiert. Es wurde ein überraschend „anderer“ Abend im Bregenzer Festspielhaus.

Horváth hat in seinem Schauspiel die miteinander verschlungenen Schicksale von mehr oder minder sozial Deprivierten dargestellt: die junge, hübsche, lebenslustige Marianne lässt ihre Verlobung mit dem Nachbarsmetzger platzen und wirft sich dem Wiener Strizzi Alfred an den Hals, den die 50-jährige Tabak-Trafikantin Valerie eben vor die Tür gesetzt hat; Valeria tröstet sich mit einem faschistoiden deutschen Studenten; Marianne bekommt mit Alfred ein uneheliches Kind, wird vom Vater verstoßen und landet als Nackttänzerin im Wiener „Maxim“; sie bestiehlt einen Gast, landet kurz im Gefängnis und alleingelassen von allen; die Großmutter des Strizzi bringt derweil das Kind um; Marianne wird am Ende vom Metzger in eine sogenannte gutbürgerliche Ehe wie eine „Beute“ davongetragen. Erstaunen: all das hat HKGruber in eher zart zurückhaltende, auch mal mitleidig leise Orchesterpassagen gefasst. Allen Sängern mutet er nicht das in der zeitgenössischen Moderne übliche Diskant-Geschreie zu, sondern eine fast mediterran klingende Sanglichkeit, die nur gelegentlich mal schrill und grell wird. Selten vertieft die Musik Charakterzüge ins Psychologische oder zu packender Musikdramatik. Zitate von Johann und Richard Strauss bis hin zu Wiener Liedern klingen nur leicht schräg, nie abgrundböse. Der einzig emotional fesselnde Höhepunkt gehört Marianne in der Kirche, wo sie von Priester und „liebem Gott“ alleingelassen klagt.

Auch szenisch bot der Abend keinen Regie-Egotrip, keine Dekonstruktion. Grubers langjähriger Mitarbeiter, Librettist und nun auch Regisseur Michael Sturminger erzählte die Geschichte klar und eingängig. Aus dem Nebel einer leeren Bühne, wie aus ihren verhangenen Gedanken taucht Marianne auf. Hintergrundfotos zeigen triste Wiener Gegenden. Zusätzlich hereinfahrende Bauteile wirken in Olaf Winters differenzierter Lichttechnik von vorne real, von hinten transparent irreal. Darin war die junge Belgierin Ilse Eerens eine anrührende Marianne, im Kontrast zur herrlich lebenstüchtigen und liebeslustigen Trafikantin von Angelika Kirchschlager. Leider geriet Anja Silja die mordende Großmutter nicht zur schwärzesten Figur, während aus dem perfekt rollendeckenden Typen- und Stimm-Ensemble Tenor Jörg Schneider herausragte: der Metzger Oskar als erdrückende „Wuchtbrumme“ an Mannsbild mit vordergründig liebevollen, aber gefährlich kleinbürgerlichen Phrasen. Sie alle, den Kleinbürger-Chor des Vokalensembles NOVA und die Wiener Symphoniker führte HKGruber als Dirigent mit klarer Zeichengebung in die Stilrichtung „Neue Einfachheit“ – einhelliger Beifall dafür.