Lene Dax und Ronald Radusch González als Boten

Stadtgeschichte

Felix Krakau: Angst und Schrecken in Mykene

Theater:Schauspiel Essen, Premiere:19.09.2025 (UA)Regie:Felix Krakau

Am Schauspiel Essen inszeniert Felix Krakau seine Version einer „Orestie“ mit Vor- und Nachgeschichte als unterhaltsames Erzähltheater. Dabei löst sich der Titel „Angst und Schrecken in Mykene” allerdings nicht ganz ein.

Antike ist in; doch da das kulturelle Allgemeinwissen um Antigone, Ödipus oder Orest zugleich deutlich nachgelassen hat, werden die komplexen Familiengeschichten aus Theben und Mykene zunehmend erklärt und aus unserer Gegenwart heraus gerahmt. Das gelang besonders nachdrücklich vor zwei Jahren Roland Schimmelpfennig in „Anthropolis“, uraufgeführt von Karin Beier am Deutschen Schauspielhaus mit großem Erfolg, und einige Jahre zuvor Christopher Rüping mit „Dionysos Stadt“ an den Münchner Kammerspielen.

„Orestie“ plus

Der Regisseur und Autor Felix Krakau hat zum Saisonstart am Schauspiel Essen nun mit „Angst und Schrecken in Mykene“ die Geschichte der längst zu Trümmern gewordenen Stadt Mykene „nördlich der Ebene von Argos“ zusammenfassend mit neun Schauspieler:innen erzählt. Tatsächlich wird von Anfang bis zum Ende (nach zwei Stunden) viel Bericht geboten durch die beiden Botengestalten (Lene Dax und Ronald Radusch González). Sie erzählen im Duett von der Gründung der Stadt Mykene, von den ersten fünf Königen, auf die das verfluchte Herrscherhaus der Atriden folgte, samt Trojanischem Krieg, Ermordung des Agamemnon durch Klytaimnestra, dem Mord des Orest an der mörderischen Mutter und Verfolgung des Muttermörders durch die Erinnyen.

Das Stück erzählt also Vorgeschichte und Hauptgeschichte der Orestie. Schließlich stochern die Boten noch in der dürftig überlieferten Nachfolge auf Orest und enden in einem chorischen Nachdenken der „Stadt“ über sich selbst und über Schuld, über das Lernen aus menschlichen Katastrophen. Das „Tun, Leiden, Lernen“ aus der „Orestie“ des Aischylos wird zum Mantra der Menschheit. Am Ende binden die beiden Conférencier-Boten in ihren (etwas seltsamen) Pseudo-Ledermänteln noch einmal das Ganze zusammen, sinnieren über den Wert des Erinnerns und Neu-Erzählens. Sprachlich ist das flott aktualisiert und doch präzise gefasst.

Charmant kommunikativ begegnet der Text in Gestalt des Boten-Teams dem Publikum, nimmt es mit auf eine komplexe Zeitreise. Und tatsächlich schaffen es Lene Dax und Ronald Radusch Gonzáles auch mit zunehmender Spieldauer ihre namenlosen Rollen als den Chor ersetzende Berichterstatter, die sich zuweilen auch selbst mal Hauptrollen wünschen, zu etablieren. Und doch ist das Vorhaben so groß eingeschenkt, dass nur wenig Zeit und Raum für die Ausbreitung von „Angst und Schrecken“ in Mykene bleibt.

Erzählung statt Situation

Das durchweg überzeugende Ensemble erhält nur wenige Gelegenheiten, individuelle Dramen auszuspielen. So kommen die Kinder Chrysothemis, Elektra und Orest (Lene Dax, Floriane Kleinpass und Alexey Ekimov) nach dem Gespräch mit der Mutter Klytaimnestra (Bettine Engelhardt), das geradezu sachlich die Unausweichlichkeit des Mordes an der Mutter verhandelt hat, noch einmal zu einer familiären Umarmung zur Mama. Insgesamt gelingt es bei dieser geballten Vermittlung zahlreicher tragischer Ereignisse – auch die Protagonist:innen wie Atreus (Ines Krug), Thyestes (Jan Pröhl) oder Agamemnon (Sabine Osthoff) sprechen immer wieder selbst episch von ihrem eigenen Schicksal – jedoch eher selten, das Tragische sinnlich zu entwickeln.

Die Kostüme (Jenny Theisen) und die Bühne (Marie Gimpel) mit Palastwänden auf einer Drehbühne sowie die atmosphärische Musik (Timo Hein) schaffen einen nur wenig pointierten Rahmen. Zwar deuten Kostüme und eine Lichtinstallation im Zentrum des Raums in Richtung Science Fiction-Dystopie, doch bleibt diese Zeitreise ins ferne Griechenland, angefangen mit dem ambitionierten Text, insgesamt ein wenig unbestimmt. Das Innehalten im derzeit immer offenkundiger werdenden Wahnsinn der Welt brauchte mehr Zuspitzung und Konzentration, um über eine Einführung in die dramatischen Geschichte der Stadt Mykene hinauszuweisen.