Foto: Schlussszene des zweiten Aktes im Frankfurter "Trovatore". Elza van den Heever (Leonora), Damenchor der Oper Frankfurt © Barbara Aumüller
Text:Andreas Falentin, am 11. September 2017
Dass eine Aufführung von „Il Trovatore“ gelänge, wäre einfach zu gewährleisten, sagte Enrico Caruso einst in seinem berühmtem Bonmot, man bräuchte nur die vier besten Sänger der Welt zu engagieren. Die, könnte man versuchen, pointiert zu erwidern, gibt es vielleicht gar nicht mehr. Die Opernszene hat sich geändert seit Carusos Zeiten, der Operngesang auch. Die Oper Frankfurt hat hervorragende Sänger engagiert. Der Tenor Piero Pretti etwa hat kein bildschönes Timbre, aber er beherrscht die Titelpartie über weite Strecken mühelos und er gebietet über Pianokultur und Innigkeit. Bei seiner Arie „Ah si ben mio“ geht uns das Herz auf und wir lernen einen Menschen kennen. Noch mehr zu rühren vermag Elza van den Heever. Vor unseren Ohren gestaltet sie plastisch und klangschön die Entwicklung der Leonora vom verliebten Backfisch zur gereiften Geliebten und sich opfernden Liebenden. Auch Marianne Cornetti, erst zur Generalprobe eingesprungen, singt die Azucena auf großem Niveau, handhabt ihre kolossalen stimmlichen Mittel künstlerisch und zielorientiert. Und Brian Mulligan hat die musikalische Statur für den Grafen Luna, die dunklen Farben wie die hier ungewöhnlich stark geforderte höchste Baritonhöhe. Und doch reicht das alleine, entgegen Carusos Diktum, leider nicht aus. Auch nicht, wenn der hervorragende Opernchor wie jetzt in Frankfurt lyrisch aufblühen und nahezu jedes Tempo souverän mitgehen kann, wenn Dirigent und Orchester geschmeidig miteinander musizieren, sich nicht in den Vordergrund drängen und doch stets für Atmosphäre sorgen
Denn diese vier Riesenrollen, diese vier Einzelkönner müssen zueinander in Beziehung gesetzt werden, damit Theater stattfinden kann. Und auch die feindliche Welt, an der sie, besonders Luna und Azucena mitgebaut haben, muss zumindest angedeutet werden auf der Bühne. Es hängt also – fast – alles letztlich doch an der Inszenierung. Im Programmheft äußert David Bösch, das Stück spiele für ihn in einem „Land aus Feuer und Eis“ und habe „keine gesellschaftliche Aktualität“, wohl aber eine „emotionale“. Und dann öffnet sich der Vorhang und wir sehen die opernübliche Soldateska in Oliv, die munter mit Maschinenpistolen herumfuchtelt. Es ist Nacht, es mag kalt sein, denn einige sind in Decken gehüllt, aber Ferrando – Kihwan Sim macht das sehr ordentlich – singt im dünnen Hemd. Den ganzen Abend über werden diese abgebrauchten Stereotypen immer wieder herbeizitiert, um das Kriegsthema zu gestalten oder besser: zu verwalten. Kriegsgefangene werden scheinrealistisch gequält, mit einem wird sogar ein Selfie gemacht, ohne dass das in der Musik irgendeinen Ort, im dramatischen Ablauf irgendeine Notwendigkeit hätte. Es gibt Stacheldraht und einen Panzer. Der Graf Luna muss (Kostüme: Meentje Nielsen) einen unvorteilhaften, mit Orden behängten Mantel tragen in dem er behäbig durch das Geschehen stapft und immer wieder nach Leonoras Foto nestelt. Dass seine gewaltige Wut und seine verzweifelte Liebe diesen welterschütternden Konflikt auslösen und am Kochen halten, spürt man in keinem Moment.
David Bösch hat zweifelsfrei viel und klug über das Stück nachgedacht. Die Darstellung von Manricos Zigeunerheer als chaotische, lebenslustige und gewaltbereite Schaustellertruppe ist genauso bezwingend wie die Kostümierung des Titelhelden als Vorstadt-Strizzi. Die Animationsfilme von Bühnenbildner Patrick Bannwart spiegeln und reflektieren das Geschehen, führen ihm Witz und den dringend benötigten Anti-Realismus zu. Aber diese Quelle scheint nach der Pause versiegt. Die Bilder werden flach und unsinnlich bis hin zur Entgleisung, die Gefangenen Azucena und Manrico in Lagerkleidung zu stecken. Und eine Personenführung kommt, abgesehen von Leonora – Figur, den ganzen Abend über im engeren Sinne nicht vor. Der Chor steht oder sitzt herum, quält Statisten oder wird, wie am Ende des zweiten Aktes, einfach dekorativ im Raum angeordnet. Da stehen sich dann Soldaten und teilweise ärmellose(!?) Nonnen, gegenüber und singen, verhalten sich aber in keiner Weise. Wie Blumenvasen.
„Il Trovatore“ ist ein undankbares Stück für einen Regisseur. Es lebt von der Figurenkonstellation und den sich immer wieder aufbauenden Mikrospannungen. Eine Handlung im engeren Sinne ist wohl nicht vermittelbar, weswegen das Stück ja, zu unrecht, bei vielen Dramaturgen und Opernexperten auf der schwarzen Liste steht. David Bösch versucht es halbherzig dennoch und vertraut seinen klugen und mutigen Einsichten in das Stück nicht, löst sich nicht entschlossen vom naturalistischen Darstellungsvokabular. So werden wir leider weiter warten müssen auf einen leidenschaftlichen „Trovatore“ in einer Kunstwelt aus Feuer und Eis. In den Stimmen von Piero Pretti und Elza van den Heever ist sie uns in Frankfurt begegnet. Immerhin.