Auf den Kontakt mit ihrer Ziege Bella konzentriert sich die Hirtin Dinorah. Ihr Bräutigam, der Hirt Hoël, hatte sie bei einem Unwetter, das während der Wallfahrt nach Ploërmel, die beide als Sahnehäubchen für ihre Hochzeit unternahmen, hereinbrach, verlassen. Er folgt den verführerischen Einflüsterungen des dunklen Zauberers Tonyk, der ihm einen Schatz verspricht, wenn er seine Braut ohne ein Wort verlässt. Sie flüchtet ihrerseits für ein geschlagenes Jahr in den Wahnsinn und irrt als Närrin durch die Welt. Mit Bella der Ziege. Für deren Darstellung haben es auch schon mal lebende Exemplare dieser Spezies zu Bühnenehren gebracht. In Görlitz hat man sich den dafür heute erforderlichen Stress mit dem Tierschutz gespart. Hier werden Dinorah und ihr Hoël (geschmeidig und sicher mit wohltimbriertem Bariton: Ji-Su Park) und dessen zeitweiliger Begleiter Corentin (lyrisch beredt: Thembi Nkosi), den er ohne Skrupel opfern würde, um in den Besitz des Goldschatzes zu kommen, von Schatten begleitet. Kein tierisches Meckern auf der Bühne, dafür passende Schattenrisse. Am Ende sorgen Unwetter und ein erneuter Schock dafür, dass Dinorah wieder aus ihrem Wahnsinnsexil erwacht, die Wallfahrer wieder zur Stelle sind und sich alle auf die Traumversion der Geschichte einigen. Der Schatz, den Hoël gewinnt, ist zwar nicht der ihm verheißene aus Gold, aber eben das Herz von Dinorah. Ende gut, alles gut.
Die Musik ist hinreißend verführerisch in ihrem Wechsel von einschmeichelnd aufflatternder Melodie, atmosphärischer Stimmungsmalerei und einer Ziegenglocke als eines der Leitmotive, das immer wieder erklingt. Alles mit der gehörigen Portion von Raffinesse, die dieser Komponist allemal liefert. Die Musiker der Neuen Lausitzer Philharmonie und ihre GMD Ewa Strusińska liefern mit ihren Mitteln einen Meyerbeer de luxe!
In „Dinorah“ kommt es darauf an, dass sich die Protagonisten und der Chor (so wie von Albert Seidl einstudiert) auf dieses Spiel zwischen Traum und Wirklichkeit einlassen. Vor allem braucht es eine vollkommen koloraturensichere Ziegenfreundin für die Titelpartie. Und da begeistert Ensemblemitglied Jenifer Lary (die 2020 nach Heidelberg wechseln wird) durchgehend – mit spielerisch leichten, lockeren Koloraturen und der entsprechenden Intensität in der Darstellung. Auch bei ihr wird die berühmte Schattenarie zu einem Bravourstück, das mit ausführlichem Szenenapplaus bedacht wurde! Sie feuert keins ihrer Kehlenkunststücke einfach nur von der Rampe ab, sondern fügt sie in die jeweilige Situation der Inszenierung von Geertje Boeden und den Raum, den das Ausstatterteam Olga von Wahl und Carl-Christian Andresen zwischen Traum und Wirklichkeit angesiedelt haben, ein. Atmosphärische Ergänzung sind die Videos von Aron Kitzig und die Schattenspieler Nami Miwa (als Bella), Harrison Claxton (als Schatten Hoëls ist er der Zauberer Tonyk) und Lorenzo Rispolano (als Schatten Corentins passenderweise als Kobold). Eindrucksvoll die erstarrte Schlammlawine, die die Bühne beherrscht und in der technische Versatzstücke aus modernen Haushalten einen dezenten Verweis von den historisch märchenhaften Kostümen hin zu unserer Gegenwart liefern. So wie das Verschwinden eines Bräutigams während der Hochzeit ja nicht nur mit dem Wirken von Übermächten erklärt werden kann, sondern auch als poetisches Bild von Bindungsangst…