Szenenfoto mit Titelheld: Mark Morouse als Oberst Chabert

Ein Leben in Trümmern

Hermann Wolfgang von Waltershausen: Oberst Chabert

Theater:Theater Bonn, Premiere:17.06.2018Regie:Roland SchwabMusikalische Leitung:Jacques Lacombe

Comeback eines Opernerfolges von 1912: die Oper Bonn versucht sich erfolgreich an Waltershausens pschologisierend spätromantischem „Oberst Chabert“.

Bässe wummern als der eiserne Vorhang sich hebt, abgrundtief und mit markerschütternder Intensität. Der darauffolgende Anblick ist kaum hoffnungsvoller: eine dystopische Trümmerlandschaft, die die Bühne in eine vordere und eine hintere Ebene teilt, Nebelschwaden wabern dicht und bedrohlich unter der Decke. Keine Frage, der Auftakt zu der Oper „Oberst Chabert“ von Hermann Wolfgang von Waltershausen in Bonn lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Eine romantische Liebesgeschichte beginnt so nicht.

Die infernalischen, ziemlich nah an der Schmerzgrenze ausgepegelten Bässe erinnern allerdings eher an Suspense-Momente eines zweitklassigen Science-Fiction-Streifens. Zusammen mit drei das Publikum blendenden Scheinwerfern, die im Hintergrund für das nötige Halbdunkel während des Kulissenumbaus sorgen, kehren sie zwischen den Akten wieder und hinterlassen trotz der zweifelsohne deutlichen Wirkung einen doch leicht abgeschmackten Eindruck. Die Frage ist ohnehin, ob sie der dramaturgischen Stringenz der Inszenierung von Roland Schwab wirklich zuträglich sind. Zweifel sind zumindest angebracht, dafür ist der Effekt zu banal. Ein Großteil des Geschehens spielt sich zunächst sehr weit weg vom Publikum fast ausschließlich auf der Hinterbühne ab, erst mit zunehmender dramaturgischer Zuspitzung verlagert sich das Geschehen  um den Protagonisten Chabert auf die Vorderbühne, um in einem Bild von visionärer Wucht zu kulminieren.

Nach der Uraufführung 1912 war die Oper ein veritabler Kassenschlager, dessen Erfolgsgeschichte jedoch durch den ersten Weltkrieg und den weitgehenden Rückzug des Komponisten während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur beendet wurde. Dabei ist die Geschichte des im Napoleonischen Krieg nach der Schlacht von Eylau 1807 für tot gehaltenen, aber lediglich schwer verwundeten Oberst ein hochverdichtetes Drama, das alle Ingredienzien für ein spannendes Bühnengeschehen hat: Chabert kann sich aus einem Massengrab befreien, muss bei seiner zunächst von jahrelangen Wirren verhinderten Rückkehr dann feststellen, dass seine Frau wieder verheiratet ist. Zudem weist die zuletzt 2010 halbszenisch aufgeführte Oper mit lediglich gut 100 pausenlosen Minuten Dauer, nur sechs Sängern und ohne Chor auch für kleinere Häuser überschaubare Dimensionen auf.

Roland Schwab inszeniert die Geschichte in Bonn sehr stringent und mit einem herausragenden Ensemble. Die Absicht, das Geschehen mit zunehmender dramaturgischer Dichte stärker nach vorne zu verlagern ist dabei klar ersichtlich, ein Großteil des Bühnenraums bleibt dadurch jedoch über weite Strecken ungenutzt, nicht zuletzt durch das Bühnenbild (David Hohmann), das die Darsteller durch seinen Aufbau geradezu dazu zwingt, sich vorwiegend horizontal von links nach rechts zu bewegen. Dennoch ist es eine große Stärke der Inszenierung, das in Trümmern liegen Leben des Protagonisten in ein geradezu symbolhaftes Bühnenbild übersetzt zu haben und dies mit sehr glaubwürdigen Darstellern zu untermauern.

Überhaupt, die Darsteller: das Bonner Ensemble, das bis auf Peter Tantsits (Graf Ferraud) ausschließlich mit hauseigenen Kräften besetzt ist, singt wunderbar. Mark Morouse als Chabert, der noch an den Folgen einer Halsentzündung laborierte, kann dennoch nicht nur mithalten, er ist mit einer ungemein eindrucksvollen darstellerischen Präsenz auch der Eckpfeiler dieser Aufführung. Sein sonorer Bariton war bei der Premiere aufgrund der krankheitsbedingten Eintrübungen zwar nicht ganz auf der gewohnten Höhe, dennoch, Morouse stand in jeder Hinsicht seinen Mann. Der in Gestalt von Christian Miedl, in Bonn zuletzt in Othmar Schoecks Penthesilea zu hören, schon vorsichtshalber in den Kulissen positionierter Ersatz brauchte nicht zum Einsatz zu kommen.

Auch Yannick-Muriel Noah als Rosine ist stimmlich und darstellerisch hinreißend. Sie verkörpert die Dramatik ihrer Protagonistin von der berechnenden Grafengattin zur liebenden Ex-Frau des Obersts mit großem Nachdruck. Ihr dramatisch-wuchtiger, gleichwohl ungemein ausdrucksvoller Sopran ist dem üppig klingenden Orchester mehr als gewachsen, was man von Peter Tantsits eher schmal und schlank klingenden Tenor trotz vokalem Heldengestus nicht durchweg sagen kann. Martin Tsonev (Godeschal) und Giorgos Kanaris (Derville) hingegen erweisen sich als Idealbesetzungen. Stimmlich stehen beide voll im Saft und gestalten ihre Rollen zudem vokal wie mimisch mit einer wunderbaren Intensität. In einer kurzen, mit einem traumhaften tenoralen Timbre aber hervorragend absolvierten Rolle zudem zu sehen: David Fischer (Boucard).

Bleibt das Beethoven Orchester Bonn, das mit gewohnt feurigem Impetus von Jacques Lacombe geleitet wird. Lacombe hat bereits die halbszenische Aufführung an der Deutschen Oper in Berlin dirigiert und erweist sich als ausgezeichneter Kenner der Partitur. Dramaturgische Bögen lässt er durch das fabelhaft und glutvoll spielende Beethoven Orchester nachdrücklich untermauern, die reichhaltige spätromantische, in der Post-Wagner- und -Strauss-Ära angesiedelte Harmonik von Waltershausens leuchtet er luzide aus und hält Bühne und Orchester stets zusammen. Insgesamt ist diese Inszenierung ein Gewinn: ein spannender Stoff, ein seltenes Stück und eine musikalisch-szenische Gesamtleistung, die zweifelsohne einen Besuch lohnt.