Szene aus "Tragedy of a friendship" an der Vlaamse Opera in Antwerpen

Die Wagner-Maschine

Jan Fabre: Tragedy of a friendship

Theater:Vlaamse Opera, Premiere:15.05.2013Regie:Jan Fabre

Als der flämische Allrounder Jan Fabre vor neun Jahren an der Brüsseler La Monnaie-Oper Richard Wagners „Tannhäuser“ zum allgemeinen Erstaunen bilderstark, körperbetont und partiturgetreu auf einen überraschenden Tableaupunkt brachte, da ließ er verlauten, dass er auch ein fertiges Konzept zum „Ring des Nibelungen“ in petto habe. Der Hinweis verhallte ungehört – in Bayreuth füllte man die entstandene Vakanz mit gepflegter Tankred Dorst-Langeweile. Kann gut sein, dass er ein paar Skizzen von damals jetzt nachgenutzt hat. Die vier Paare mit ihrem ringenden Tanz, bei dem die Frauen immer mal nach Luft schnappen, als würde sie aus dem Rhein auftauchen, kann man sich ganz gut als pars pro toto vorstellen.

An der Vlaamse Oper in Antwerpen hat er jetzt aber keineswegs den allfälligen Ringkurzfassungen eine weitere hinzugefügt, sondern er hat sich gleich den ganzen Wagner vorgenommen – von den „Feen“ bis zum „Parsifal“. Die Titel liefern für Fabre die Stichworte für seine Auseinandersetzung mit dem Großgenie und für Moritz Eggert den musikalischen Resonanzboden für sein Umkreisen von und Einlassen auf einige zentrale musikalische Motive. Wenn Wagner selbst zu Worte kommt, dann klar erkennbar und zumeist a capella. Was dadurch auch schon verfremdet wirkt. Diese offene Form greift Moritz Eggert wie die Vorgaben eines Librettos auf, füllt Lücken, verfremdet Wagner, erfindet ihn nach, reflektiert wie ein Echo. In einem Orchestervorspiel füllt er den Raum gleichsam mit einem wogenden Schwall, in den sie dann eintauchen, in dem sie plantschen oder auch mal Schaum schlagen. Live erzeugt von Harmonium und Cello sowie dem exotisch wirkenden Theremin, was dann manchmal klingt wie Wagner über Kurzwelle. Den Orchesterpart hat das Flämische Opern Symphonie Orchester auf Band eingespielt. Ein Gesamtkunstwerk ist so allemal entstanden und zwar eins, bei dem sich Moritz Eggert nicht nur dem zweiten ausgewiesenen Kollegen Richard Wagner, sondern auch Jan Fabre untergeordnet bzw. seine Inspiration von ihm bezogen hat.

Verglichen mit Helmut Oehrings Düsseldorfer „SehnsuchtsMeer“, das ja über einen etwas seichten Holländer-Abklatsch nicht hinaus kam, sind Eggerts musikalischer Beitrag zu Fabres „Tragedy of a friendship“, wie auch das Gesamtresultat die ohne Zweifel originellere und radikalere Kunstanstrengung. Natürlich auch, was ihr Verstörungspotenzial betrifft. Fabre bedient exzessiv auch die Provokations-Erwartungen. Körperbetont, bilderstark, und grenzüberschreitend ist das eine, eine exzessive Vaginafixierung das andere. Was in Düsseldorf möglicherweise zu Notarzteinsätzen führen würde und in Antwerpen lediglich einige Zuschauer aus der pausenlosen, über dreistündigen Vorstellung vertrieb, wird vom Publikum, wenn es besonders dicke kommt, eher mit einem Lachen entschärft. Wobei ohnehin Fabres Fan-Gemeinde reichlich vertreten war. Außerdem übertrug sich natürlich auch der Chorgeist der Performer und Sänger, den Fabre in drei Monaten Intensivtraining (wie vor ihm vielleicht nur Einar Schleef) installiert hat, aufs Publikum.
Dass Librettist Stefan Hertmans die Person des Komponisten und seines Freundfeines Friedrich Nietzsche als dramaturgische Klammer eingeführt hat, führt mitunter zu erhellenden Schlaglichtern auf dessen Biographie und Obsessionen. Zu einem dramaturgisch überzeugenden, vorantreibenden und ordnenden Hauptkonflikt reicht dieses verbale Pas de deux allerdings nicht. Nietzsche, so scheint es, liefert vor allem den Vorwand für einen radikalen Gestus. Eine kleine Spielszene, in der die beiden Egomanen laut ihren Namen rufen und auf das Echo der Menge warten, behandelt diese titelgebende Beziehung im Grunde erschöpfend. Während der Tonsetzer das erwartete Echo bekommt, erntet der dann vorwiegend mit einer Schraubzwinge am Kopf auftretende Philosoph ein dröhnendes Nichts. Was ja auch wieder passt.

Neben den Kindergeburtstagsqualitäten so personalisierter Spielszenen gelingen Fabre aber auch schön pointierende Bildparaphrasen auf einzelne Werke. Wie die à la Magritte von der Decke hängenden Fische als Hintergrund für die beiden Meeropern Holländer und Tristan. Im ersten torkeln Matrosen wie auf hoher See über die Bühne, während im zweiten Fall Tristan und Isolde an einer Kleiderstange hängen und sich bei der a capella riskierten, herabsinkenden Nacht der Liebe aufeinander zu bewegen. Das sind Bilder, die mit ihrer Ruhe nachwirken. Andere können den Selbstzweck oder zumindest Selbsterfahrungs-Verdacht nicht so ganz entkräften. Besonders, wenn Fabre den Über-Bieito gibt, mit Fleisch aus dem Rücken schneiden und essen, oder dem Schwert durch die Scheide (der Frau versteht sich) ziehen zum Mein lieber Schwan. Wenn mit dem „Parsifal“ das Ende der Musik postuliert wird, kriechen Nietzsche und Wagner am Boden. Der Platz an der Rampe ist der Gipfel, den sie erklimmen und von dem aus sie rufen. Das Echo antwortet auch. Vor Ort vom Rang. In der Vorstellung des Gesamtkunstwerkers Fabre vielleicht aus der Ewigkeit? Das letzte Wort haben kreischende Vögel. Sind es womöglich Wotans Raben?