Foto: Sancta © Nicole Marianna Wytyczak
Text:Martina Jacobi, am 31. Mai 2024
Florentina Holzinger inszeniert ihre erste Musiktheaterperformance „Sancta“ am Mecklenburgischen Staatstheater in Schwerin als Messe-Feier der Selbstermächtigung.
Wie ein Hammerglockenschlag haut Florentina Holzingers „Sancta“-Inszenierung auf der Bühne des Mecklenburgischen Staatstheaters ein. Natürlich findet die Premiere an Fronleichnam statt, der katholischen Feierlichkeit für den Leib und das Blut Christi, um an das letzte Abendmahl zu erinnern. Leib und Blut kann das Publikum in diesem Fall wörtlich nehmen, Holzingers Bildsprache ist unmissverständlich und eindeutig.
Das Mecklenburgische Staatstheater war Mitinitiator von Florentina Holzingers erster Opernperformance, die nach vier Aufführungen zu den Wiener Festwochen weiterziehen wird. Vorlage ist der vor hundert Jahren an der Oper in Frankfurt am Main uraufgeführte Operneinakter „Sancta Susanna“ von Paul Hindemith – damals ein Blasphemie-Skandal. Das Libretto basiert auf „Ein Gesang der Mainacht“ des expressionistischen Dichters und Dramatikers August Stramm.
Die Handlung spielt in einer Mainacht, das ewige Licht hält in Schwerin ein mittelgroßer Kranroboter. Die Nonnen Susanna und Klementia erscheinen vor dem Altar: Klementia erzählt die Geschichte der Nonne Beata, die einmal unbekleidet zum Kruzifix hinaufstieg, es umarmte und küsste. Daraufhin wurden die Lenden von Christis Bildnis verhüllt, die ewige Kerze angezündet und Beata dahinter lebendig eingemauert.
Patriarchat dekonstruiert
In knapp drei Stunden zieht Florentina Holzinger eine Messe vom Kyrie bis Sanctus auf. Sie dekonstruiert die Kirche als patriarchales Machtzentrum, dreht von Männlichkeit dominierte Narrative mit einem diversen Cast um, der sich diese Narrative zu eigen macht. Die Inszenierung lebt von Nacktheit, die Einleitung ist ein ausgedehnter Akt der (Selbst-)Befriedigung: Während Klementia und Susanna Beates Schicksal vor dem Publikum ausbreiten, beginnt dahinter und auf dem beweglichen Kreuz ein Masturbations- und Sexgeschehen, während sich manche Körper wie Spinnen winden und fortbewegen. Beatas Tat wird zur realen Lustfantasie der beiden Nonnen.
Hindemiths Musik, die er auf einem einzigen Thema aufgezogen hat, spannt sich in Variationen zwischen Askese und Begehren auf. Ein einziges Crescendo steigert sich bis zur Ekstase, bricht Körperlichkeit bis hin zu Lust und Schmerz auf. Das von Christi erbrachte Opfer für die Sterblichen machen sich die Darsteller:innen durch geäußerte Versehrtheit auf der Bühne zu eigen. Auf einer OP-Bahre wird einer Darstellerin mit dem Skalpell ein kleines Stück Fleisch aus der Haut geschnitten – detailreich auf dem Bildschirm für das Publikum vergrößert – und sie lässt sich nach Caravaggios Bild „Der ungläubige Thomas“ einen Finger in ihr Fleisch legen. Später wird das herausgeschnittene Stück gebraten und beim nachgestellten letzten Abendmahl verzehrt.
Der Unterdrückung weiblicher Körperlichkeit setzt Florentina Holzinger Ermächtigung entgegen. Die Darsteller:innen werden selbst zum lebendigen, wild schwingenden Glockenklöppel, verstärkt wird die Pendelbewegung durch hin- und herskatende Nonnen auf einer Halfpipe direkt darunter. Die hintere Bühnenkulisse dient als Kletterwand: Darsteller:innen ordnen sich dort zu gekreuzigten Körpern an, auch mal kopfüber, oder zerhauen das projizierte Bild aus der sixtinischen Kapelle, auf dem Gott Adam Leben verleiht.
Selbstermächtigung
Der musikalischen Leiterin, Marit Strindlund, gelingt es, Hindemiths Instrumentierung herauszuarbeiten. Auf der Bühne überzeugen Cornelia Zink als Susanna, Andrea Baker als Klementia und Emma Rothmann als Alte Nonne mit Textverständlichkeit. Florentina Holzinger erweitert Hindemiths Musik um Johann Sebastian Bach oder Cole Porters „Blow, Gabriel, blow“ und Neukompositionen der österreichischen Komponistin Johanna Doderer.
Was stark nach Grusel- und Geißelungs-Exzessen klingt, entfaltet sich darunter in allem dargestellten Schmerz als Selbstermächtigung von unter anderem Weiblichkeit und Queer – abled bodies rufen zur Revolution. Natürlich lebt die Inszenierung von durch Mark und Bein gehenden Effekten, spätestens als die eingemauerte Beate ohrenbetäubend kreischend aus der zerschlagenen Mauer auftaucht. Andere mit Komik unterlegte Szenen eines E-Zigarette rauchenden und fluchenden Jesus fallen von der starken bildlichen und akustischen Sprache ab. Und dann, beim Abendmahl, werden noch einmal letzte Vergehen gebeichtet. Auch das Publikum darf – und reagiert vorerst durch Zurückhaltung.
„Don’t dream it, be it“ ist am Ende das versöhnliche Mantra, zu dem das Bühnengeschehen schließlich abflaut. Wer gehen wollte, tat dies, der Rest klatscht und johlt lautstark. Anders als bei manchen anderen Inszenierungen in der deutschsprachigen Theaterlandschaft muss mensch sich hier auf jeden Fall nicht fragen, wo die Aktualität liegt.