Damit die Geschichte uns nicht zu nah ist: Die Künstlichkeit in "Miyu Unsahiro" erinnert an das japanische Nō-Theater.

Die Unmöglichkeit der Freundlichkeit

Ein Anime für Theater von Flo Staffelmayr: Miyu Unsahiro

Theater:Theater Heidelberg, Premiere:30.03.2019 (UA)Regie:Nora Bussenius

Auch Gegenwartsautoren bedienen sich noch am Mittel des Verfremdungseffektes. So, wie Brecht seine Geschichte von der Unmöglichkeit der Freundlichkeit in einem vom Kapital regierten System in „Der gute Mensch von Sezuan“ nach China verlegte, so lässt nun Flo Staffelmayr die Handlung in seinem Stück „Miyu Unsaharo“, das von leistungsorientierten jungen Menschen erzählt, in Japan spielen. Genauer in einem Manga, oder noch präziser in einer Art Anime, das, wie das Programmheft definiert, die „Zeichentrickumsetzung eines Mangas“ ist. In der Tat ist die Ästhetik der Uraufführung am Jungen Theater Heidelberg vom Visuellen geprägt. Sowohl in den Kostümen als auch im Bühnenraum (Ausstattung: Sebastian Ellrich) dominiert der Gegensatz von Schwarz und Weiß. Ein rundes Podest, umgeben von zwei verschiebbaren Wänden, alles in Weiß, markiert die Hauptspielfläche, hinten und versetzt an den Seiten begrenzen schwarze Wände den Spielraum. In der Mitte hinten ist analog zum Podest ein großer Kreis ausgeschnitten, darin die Grafik eines, nein keines Kirschzweiges, sondern Bergahorns. Auch in den Kostümen spiegelt sich die wechselseitige Durchdringung von Abstraktion und realen Zitaten. In strengen schwarz-weißen Kombinationen gehalten kopieren diese keine Kimonos, sondern sind nach westlichen Schnitten genäht. Die dezente Gesichtsschminke mit ihren Strichen erinnert an die des Nō-Spiels. Die Inszenierung von Nora Bussenius betont damit noch die Künstlichkeit des Spiels: Ist uns die Geschichte der Miyu zu nahe?

Miyu wird von ihrer Mutter darauf getrimmt, in der Schule immer die Beste sein zu müssen. Dummerweise hat sich die Mutter mit der Lehrerin Frau Shikane (!) zusammengetan. Das Mädchen wird zudem von einem Bruder, der gar nichts von der Schule hält und lieber Baseball spielt, unterdrückt und erpresst. Meistens ist sie mit ihrer Freundin Shao Tsu zusammen. Als nun aber die Willkür der Lehrerin, der Druck der Mutter und auch noch die Konkurrenz in Liebessachen zunimmt, versucht sich Miyu zu wehren, um ein Stück weit eine eigene Identität zu finden. Dabei gerät sie an ein Computerspiel, bei dem sie bravourös alle Level durcheilt, bis der „große Meister“ ihr ganz persönliche Aufgaben gibt: Sie soll alles Böse aus der Welt eliminieren, dabei zunächst die Menschen, die ihr Böses wollen, eine Lektion erteilen. Und in der Tat gewinnt Miyu an Superkräften, wenn sie den roten Umhang anzieht zum Zeichen, dass sie in der Computerwelt agiert. Sie schlägt ihren Bruder nieder, ihre Lehrerin, ihren Freund, bis ihre Freundin Shao einschreitet und ihr klarmacht, dass Gewalt nicht mit Gewalt bekämpft werden kann. Und dann wird es pädagogisch, Shao trägt ein T-Shirt, da steht dann ein Spruch darauf, dass die Welt gewaltfrei werden und dass man bei sich selbst anfangen muss. Aber natürlich wollen Staffelmayr und Bussenius der pädagogischen Falle entkommen, da gibt es einen totalen Überschlag, die Mama ist reuig und Miyu darf nun wenigstens in die Eisdiele gehen.

Wenn zu Beginn die ästhetische Form das Spiel regiert, werden doch im Verlauf der Inszenierung von Nora Bussenius die Schauspielerinnen und Schauspieler immer freier, auch wenn sie auf stereotype Verhaltensweisen festgelegt sind. Lea Wittig als Miyu beispielsweise ist am Anfang das brave angepasste Wesen, die keine eigene Identität hat und nur macht, was ihr andere sagen. Auch im Computerspiel. Das spielt sie groß aus, den Bruch hingegen, das Erkennen der eigenen Bedürfnisse, dafür gibt der Text ihr nur wenig Hilfe. Umso eindringlicher gelingt es Wittig, hier eine Freiheit jenseits von bloßer Nörgelei zu behaupten. Die eingangs aufgebaute Distanz schmilzt immer mehr zu einer Nähe. Das gilt auch für alle anderen Spielerinnen und Spieler. Johanna Dähler legt die Shao Tsu als verständnisinnige Freundin an, zumal sie die Freiheit, die ihr Vater ihr einräumt, nutzen kann. Und Simon Labhart spielt Leikyu, in den sowohl Miyu als auch Shao verknallt sind, als überheblichen, aber auch neugierig staunenden Lover aus. Die Reihe der bösen Dämonen führt Julia Lindhorst-Apfelthaler als Mutter an, streng, selbst getrieben, ein Putzteufel, ständig einen Staubsauger bei sich habend. Dann ist da Marco Sykora als Bruder, überlegen, alles zu seinem Vorteil nutzend, fies-hinterhältig. Massoud Baygan schließlich macht aus der Lehrerin Frau Shikane eine komödiantische Glanznummer. Doch trotz aller Ironie und trotz aller fernöstlichen Zitate in der Ästhetik bleibt leider ein etwas fader pädagogischer Nachgeschmack!