Klaus Kusenberg hat in Nürnberg schon die deutschsprachige Premiere von Prebbles groß angelegter Wirtschafts-Satire „Enron“ inszeniert und generell eine Vorliebe für die angelsächsische Dramaturgie der lockeren Hand im Umgang mit aktuellen Diskussionen. Fünf Wochen nach der deutschen Erstaufführung am Hamburger Ernst-Deutsch-Theater demonstriert er das mit seiner blitzsauber realistischen Inszenierung von „The Effect“, die vor allem auf die Beschreibung der Geschichte als „emotionale Achterbahnfahrt“ setzt. Es gibt also über zwei Stunden hinweg eine zuverlässige Wechselwirkung von kurzen Flachfahrten (wissenschaftliche Erklärungen, gerne auch frontal) und steilen Abstürzen (emotionale Explosionen aller Art), gebettet auf fröhlich angeschwärzten Merksätzen wie „Ich bin tot und mein Körper hat es einfach nicht kapiert“. Damit der Schwung im Tempo erhalten bleibt, muss sich da auch mal einer mit Schuhen ins Krankenbett legen, damit er eine Szene später schnell auf den Beinen ist.
Auf der breiten Kammerspiel-Bühne baute Günter Hellweg geschickt das eiskalt-luxuriöse Forscher-Labor mit zwei Monitoren für wissenschaftliche Demonstrationen und hat die Ziffernreihe der Genom-Datenbank zum Bodenbelag verarbeitet, wo sie offensichtlich mit Füßen getreten wird. Mehr Metapher mag die Regie nicht, denn Klaus Kusenberg setzt lieber auf die dynamische Kraft der Dramatik, die ohne Ablenkung zwischen Gefühlsausbrüchen und Denk-Attacken dem offenen Finale entgegen pendelt. Die Schauspieler steigen engagiert ein: Elke Wollmann spielt die Energie simulierende Ärztin mit dem unbehandelten Depressions-Knick voll Bitterkeit und hilfloser Empörung, Heimo Essl den Ex-Lover und Karrieristen-Kollegen mit matt aufflackerndem Rest-Gewissen im Macho-Gehabe. Stärker im Mittelpunkt sind die wepsige Henriette Schmidt und der hochdruckkomödiantisch die Naivität unterhöhlende Martin Bruchmann. Als Paar, das sich nur Geld dazu verdienen will und plötzlich in aktuelle Kapitel ewiger Existenz-Fragen gerutscht ist, bannen sie durchaus gekonnt den Blick des Zuschauers. Selbst dann noch, wenn die Placebo-Frage (bei wem wirkt die Pille und wo ist es wahre Liebe?) von der Autorin nur noch herumgereicht wird und das geradezu hämisch vorgeführte „gute Ende“ mit dem imaginären Pflegeschwestern-Häubchen über der Erotik auf anekdotische Hilfe (jaja, der Junge hatte zu allem Unglück früher auch noch unerkannte Anfälle und nun kein Gedächtnis mehr) angewiesen ist.
Lucy Prebble gewann für das Stück daheim bereits den „Critics Circle Award“, muss nach der mit Beifall aufgenommen Nürnberger Premiere aber in Deutschland wohl wieder wie bei „Enron“ mit Beachtung auf der mittleren Ebene zufrieden sein. Die ganz großen Bühnen werden sich verweigern, denn es ist, wie bei vielen dieser britischen Gegenwarts-Dramen seit den Serienerfolgen von Alan Ayckbourn: Wichtige, gleich auf den ersten Blick spannende Themen werden aufgegriffen – und dann nur lässig angetippt. Theater wie Illustrierten-Lektüre.