Foto: Elias (Kihun Yoon, im Anzug) und der Chor des Staatstheaters Oldenburg © Stephan Walzl
Text:Sören Ingwersen, am 5. Dezember 2022
Vertrocknete Bäche, Sturmwind, Erdbeben und sich erhebende Wasserströme – getreu den Worten des Alten Testaments spielt das Wetter verrückt in Felix Mendelssohn Bartholdys „Elias“. Da liegt der Gedanke nicht allzu fern, das Oratorium im Kontext der gegenwärtigen Klimakrise zu deuten. Mit seiner Inszenierung des geistlichen Vokalwerks, das mit seiner packenden Dramatik, seinen menschlichen Konflikten und innigen Arien ohnehin mit der Oper liebäugelt, ist Anthony Pilavachi am Oldenburgischen Staatstheater ein Meisterstück gelungen – das allerdings auch Fragen aufwirft.
Blut und Wasser
Der Regisseur, der in Oldenburg mit seinem Mozart-Zyklus kein Unbekannter ist, lässt den biblischen Propheten als Redner einer Klimakonferenz auftreten, zeigt ihn im Chor dürstender und hungernder Klimaflüchtlinge als einen Verzweifelten, der helfen will, aber nicht kann. Und zeigt ihn vor allem als Gegenspieler des selbstherrlichen Königspaars (Melanie Lang und Volker Röhnert), das der Vielgötterei anhängt und im heidnisch-orgiastischen Rausch ein junges Pärchen dem Gott Baal als Opfergabe darbietet. Als endlich der von Elias prophezeite Regnen eintritt, erhält der blutverschmierte Opernchor, der sich am Premierenabend stimmlich und darstellerisch von seiner besten Seite zeigt, auch noch seine wohlverdiente Dusche. Wunderbar lebendig und hellhörig dirigiert Chordirektor Thomas Bönisch nicht nur an dieser Jubelstelle das Oldenburgische Staatsorchester.
Wer ist Elias?
Vollends aufzugehen in seiner Titelrolle scheint auch der Koreaner Kihun Yoon, dessen schöner Bassbariton nur gelegentlich zu sehr die Muskeln spielen lässt. Als Prophet hadert er nicht nur mit dem Schicksal des Volkes Israels, sondern auch mit seinem eigenen. Die vom Bibeltext vorgegebene Wundertat, ein totes Kind wieder zum Leben zu erwecken, gelingt ihm nicht, und auch das extremklimagebeutelte Volk kann er mit seinen monotheistischen Glaubenssätzen nur kurzzeitig auf seine Seite ziehen. Ohnehin wirken er und sein treuer Begleiter Obadjah (Mark Serdiuk) in ihren Business-Outfits wie Fremdkörper im Geschehen, in dem mit drei Engeln auf dem Fahrrad und einem neckischen Teufelchen-Quartett auch der Witz nicht fehlt. Eine Haftpflichtversicherung würde man den beiden abkaufen, aber kein Glaubenssystem.
So bleibt die Rolle des Elias unklar. Ist er ein esoterischer Verführer, der die wissenschaftlichen Fakten des Klimawandels für seine religiös-spirituellen Zwecke instrumentalisiert? Dafür ist das Identifikationsangebot mit seiner Figur zu groß. Am Ende scheitert der Prophet. Für die Ankunft des Messias, den das Oratorium feiert, findet Anthony Pilavachi ein ernüchterndes Bild: Der vermeintliche Erlöser entpuppt sich als skrupelloser General (Johannes Leander Maas), der das Königspaar ermordet, um seine eigene Diktatur zu etablieren. Ein bitterer, aber musikalisch und szenisch mitreißender Blick auf die Versprechen der Bibel, den das Publikum am Premierenabend mit langanhaltendem Jubel quittiert.