Den falschen Freunden serviert er im allerletzten Gastmahl Wasser und Steine, die parasitären, subventionsschnorrerischen Künstler am eigenen Hofe schmeißt Timon achtkantig raus, und er selber wird zum Eremiten, zum Einsiedler, zum Höhlenmenschen … Als der vor einiger Zeit aus Athen vertriebene Kriegsherr Alkibiades die Stadt angreifen will, wird Timon zum Verbündeten; und mit Waffengewalt wird ein Teil der Rache exekutiert. Timon aber stirbt, allein; dass der Feldherr Recht und Strafe erzwingt im verkommenen Athen, ist das Vermächtnis des Menschen, der die Menschen hassen lernte.
Das ist die Fabel. Übersetzer Steckel hat sie selbst, noch als Intendant in Bochum, einst beispielhaft inszeniert, gezeigt wurde das starke Stück auch beim „Theatertreffen“ – Tom Kühnel hat jetzt in Hannover ein ganz anderes Ziel. Timon ist für ihn der zeitgenössische Grieche an sich, ach was: der Geldvergeuder par excellence, der nicht nur Hellas, sondern prinzipiell und überall die kapitalistische Wirklichkeit regiert. Timon wird zum Katalysator für den Diskurs um die Zerstörung der Geld-und-Werte-Welt durch sich selbst.
Und so steil die These, so handfest ist der szenische Ansatz auf der kleinen hannoverschen Cumberland-Bühne – wir schauen ins Ruinenfeld der Olympischen Spiele, die 2004 zum letzten griechischen Gastmahl wurden für die ganze Welt. Die Säulen liegen kreuz und quer im Müll, ein paar Abgewickelte des Aufschwungs auf Pump von damals vegetieren zwischen Plastiktüten und ollen Klamotten. Immer wieder unterbrochen durch Video- und Spiel-Einblendungen mit neunmalklug-gesamteuropäischen Analysen über den Niedergang des kranken Manns in der Ägäis, räsonieren auch die philosophischen Müll-Menschen über die Vorhersehbarkeit der Katastrophe – wie ehedem beim antiken Herrn Timon.
Wobei sogar noch ein wenig mehr an nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch politischer Erinnerung nützlich wäre – Griechenland startete ja nicht nur mit getürkten Bilanzen in den Euro, es war auch schon zur Zeit der EU-Ausweitung gen Süden nicht wirklich fit für die neue, sich erweiternde Gemeinschaft. Aber es hatte halt die Diktatur abgeschüttelt, das Land sollte demonstrativ wieder die Wiege europäischer Demokratie sein dürfen… geschenkt; fast vergessen auch das.
In Hannover steigt dann aber Mathias Max Hermann bald aus dem Mülltüten auf Katrin Hoffmanns Trümmerbühne hervor und ist jetzt – ironisch auf antik getrimmt – der Timon von damals. Überhaupt hat Daniela Selig die Griechen-Zitate in den Kostümen sehr ulkig platziert; dank rasant schneller Umzüge hat der Abend viel von politisch angriffslustigem Straßentheater.
Und Tom Kühnels Inszenierung beginnt genau darunter bald auch ein wenig zu leiden – sie will halt sehr viel auf einmal. Nicht nur erzählt sie in den entscheidenden Fragmenten von Timons und der Griechen Abstieg damals und heute, sie will mit reichlich in den Text montierten Materialien auch die Zwanghaftigkeit belegen, mit der die Welt, wie sie heute nun mal lebt und sich verschwendet, quasi naturgegeben den eigenen Untergang betreibt. Und wenn Timons philosophischer Widersacher (im Original der Zyniker Apemantos) zur General-Analyse anhebt, knarrt und scheppert nicht nur das theoretische, sondern auch das dramaturgische Gefüge beträchtlich.
Denkbar wäre mit Steckels wie in Stein gemeißelter Übersetzung ein ganz anderer Umgang mit „Timon aus Athen“. Die Entscheidung fiel in Hannover für eine absichtsvoll leicht wurstige, historisch-philosophische Media-Show; ein politisches Tingeltangel für Zeitgenossen. Zwingend mag das nicht sein – aber, kein Zweifel, so geht’s auch.