Wild geht es zu, barbarisch fast: "Oedipus/Bêt Noir" am Schauspiel Köln.

Die Macht des Schicksals

Jan Decorte: Ödipus / Bêt Noir

Theater:Schauspiel Köln, Premiere:10.02.2012 (DE)Einstudierung:Wim Vandekeybus

Schade, aber es funktioniert nicht. So charakteristisch und sprungfertig die Tänzer auch sind, die Wim Vandekeybus für die Deutschlandpremiere von „Ödipus / Bet Noir“ ans Kölner Schauspielhaus geholt hat, und so redlich sich die vier Schauspieler aus Karin Beiers Ensemble auch mühen – mit ihnen weiß der belgische Choreograf selten Rechtes anzufangen. Mag Vandekeybus auch ein künstlerischer Allrounder sein, der zwischen den Genres Tanz, Film, Musik, Fotografie und Schauspiel mäandert – dieser Abend zeigt deutliche inszenatorische Defizite. Als Choreograf hat er erneut gute Arbeit geleistet, als Regisseur nicht.

Vandekeybus verwendet eine zerbröselte Textgrundlage von Jan Decorte, um den Ödipus-Mythos episodenweise als Rückblende zu erzählen. Ungekürzt will er die Kompaktheit von Decortes Sprache zeigen und tut es, indem die Dialoge vorrangig halbszenisch steif ins Publikum rezitiert werden. Das gerät stellenweise hilflos, schlimmer noch: zunehmend langweilig. Zum Glück stürzt die Energie mit den Aktionen der neun Tänzer immer wieder ins Bühnengeschehen. Wie schon in seiner ersten Zusammenarbeit mit dem Kölner Schauspielhaus zeigt Vandekeybus infantile, fast animalische Kreaturen, von denen vor allem eine Tänzerin in weißer Unterwäsche und einer Art Schutzkappe an die Hauptfigur Damien in „Monkey Sandwich“ erinnert (eine weitaus überzeugendere Arbeit). Auch Damien kroch brabbelnd umher, spielte zuweilen selbstvergessen mit Stöckchen oder hing zusammengekrümmt in einer Ecke. Hier ist die Figur wieder das geschundene Kind, wird herumgescheucht, missbraucht, ist mutterseelenallein.

Die restlichen meist brutalen und in rasendem Tempo ausgeführten Tanzsequenzen zielen auf den Kern der Tragödie: „Es ist der Fluch!“. Wie fremdgesteuert schießen Körper quer durch das riesige Kölner Bühnenportal, werfen und schubsen sich zu Boden, zeigen die vom Veterinärmedizinersohn Vandekeybus bekannten, tierischen Bewegungsmuster (Füßeln wie Insekten, Hufe scharren wie Pferde) – und immer wieder Krämpfe. Verkrampfte Leiber, umhergetragen, verkrampfte Leiber, im Freeze am Boden liegend. Durchaus geschickt mischen sich Birgit Walter (Iokaste), Renato Schuch (als blinder Seher Teiresias) und besonders Torsten Peter Schnick unter die Tänzer, lassen sich anspringen, zuweilen in Hebungen einbinden. Vandekeybus höchstpersönlich gibt den Ödipus als selbstgefälligen Burschen, mit Hemd, Rock und Lederschuhen, der in sympathisch gebrochenem, dem Textfluss leider wenig zuträglichem Akzent seinen Part abliefert. Dieser Ödipus will keine Schuld eingestehen, gibt sich mit emporgestreckten Armen eher als umherhüpfender Rockstar, der sich von seinem Gefolge feiern lässt. Die finale Verzweiflung kauft man ihm, beim besten Willen, nicht ab.

Eine dreiköpfige Live-Band sorgt für die nötige Dröhnung, die Bühne ist zweifelsfrei mit einem Kunstwerk bestückt: Ein riesiger, mit bunten Stofffetzen beknüpfter Kreis, an dem die Tänzer wie Insekten hochkrabbeln, sich einhängen, im Knäuel kleben bleiben. Schicksalsrad? Oder doch Schutzanker? Die Österreichische Erstaufführung hatte für einen Skandal gesorgt, weil im Schlussbild ein Säugling symbolschwer in Bühnenmitte abgelegt wird, ehe ein kriechendes Tänzerknäuel ihn behutsam mit sich nimmt. In Köln stört sich bei der Premiere niemand daran. Es ist ein hübsches, doch fast zu sanftes Schlussbild: Der ausgesetzte Königssohn, vom Schicksal fortgespült.