Foto: Ensembleszene aus der Stückentwicklung "Scream" am Jungen Ensemble Stuttgart © Tobias Metz
Text:Manfred Jahnke, am 14. Januar 2018
Populimus, was ist das? Inmitten eines lärmenden Showambiente machen vier ratlose SchauspielerInnen sich auf die spielerische Suche nach einer Begriffsklärung. Der junge Sascha Flocken, der mit seinen „Bürgertheater“ – Inszenierungen am Theater Freiburg nachdrücklich auf sich aufmerksam machte und inzwischen spannende Inszenierungen u.a. in Konstanz und am Theater im Marienbad Freiburg herausbrachte, nähert sich zusammen mit dem Jungen Ensemble Stuttgart dem Thema in der vollmundigen Sprache des Showbiz: Da wird Sex versprochen, da wird angemacht. Selbstverständlich tragen alle SchauspielerInnen Mikroports, um gegen die Musik anzukommen. Im schnellen revuehaften Wechsel von Ansagen, Szenen und Video wird das Thema erst einmal systematisch in seine Einzelteile zerlegt, in einer Bewegung von außen nach innen, wobei das Video, das auf zwei großen Leinwänden, die rechts und links schräg nach hinten abgewinkelt auf zwei Podesten stehen, projiziert wird, als Leitmedium fungiert. Im Bananenkostüm interviewt Alexander Redwitz Besucher auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt 2017. Hier wird das Thema Populismus in Bereiche – Begriffsdefinition, Ursachen wie Angst etc. – aufgegliedert, die die in der Improvisation entstandenen Szenen in einer Weise strukturieren, wie ein Video am Schneidetisch strukturiert wird.
Der Beginn des Abends hat den Anschein einer harmlosen Tändelei, die einerseits durch die starke Präsenz der DarstellerInnen – neben Alexander Redwitz Anna-Lena Hitzfeld, Sibel Polat und Gerd Ritter – überspielt wird. Andererseits hat Sascha Flocken klug über das Phänomen des Populismus nachgedacht, das er durchgängig mit der Schauspielkunst an sich anschaulich kurzschließt. Bei beiden stellt sich die Frage nach Wahrhaftigkeit. Eein Populist muss nicht nur „dem Volk aufs Maul schauen“, sondern er muss sich als wahrhaftiger Makler der“ Volks“ – Interessen gerieren. Man muss ihm glauben, was es sagt. Vergleichbare Wahrhaftigkeit ist nicht nur seit Stanislawski von den Schauspielern gefordert. Flocken spielt grandios damit. Dass Gerd Ritter mit Markus Söder in einer Klasse zusammen war und zwischen beiden eine Wette läuft, wer zuerst Bundeskanzler wird (die Frage ist wohl inzwischen entschieden) – ob dies nun „fake or truth“, Lüge oder Wahrheit ist, ist gleichgültig, weil es wahrhaftig erscheint. Dieses Spiel mit den Biografien der DarstellerInnen ist eine wesentliche Signatur der Inszenierung.
Wenn dieser kunterbunte „Mashup“ – so die Genrebezeichnung – zunächst entertainmenthaft vor sich hin plempert, der Zuschauer quasi von so viel Klimbim eingelullt, besser: zugemüllt wird, dann deckt hier Flocken eine wesentliche Strategie des Populismus auf. Diese wird gegen Ende der Aufführung durchschaubar gemacht, wenn die zehn Gebote des Populismus in einer Powerpoint-Präsentation vorgeführt werden, Regeln wie: Wir sind Wir, die Anderen sind die Feinde. Beeindruckend beängstigend wird dieses simplifizierende Denken vorgeführt. Hier wird die ganze humane Brutalität eines „Germans first“ auf der Szene emotional spürbar. Besonders anschaulich und auf einen absurden Gipfel gebracht wird dies, wenn Formen der Tierfabel genutzt werden, wie de flammende Rede eines einheimischen Eichhörnchens gegen die grauen Zuwanderer.
Zum Ende der Aufführung hin zerbröseln die Showelemente immer mehr , um das Wesen und die Konsequenzen des Populismus zu veranschaulichen. Und zum Schluss setzt Flocken noch einen drauf: Da tritt Gerd Ritter auf, der sich als 51Jähriger selbst als Angehöriger der alten Generation geoutet hat, hetzt auf eben diese, fordert auf zur Revolution gegen Eltern und Lehrer, die nichts gegen die Zerstörung der Welt getan haben und tun. Was hier Gerd Ritter und Sascha Flocken entwickeln, ist ein rhetorisches Meisterwerk populistischen Denkens. Da wird ein realer Tatbestand benannt und daraus eine gewaltbereite Strategie entwickelt, scheinbar aus ganz einfachen Tatsachen. Diese Rhetorik des Populismus lässt einem das Blut in den Adern gefrieren, zumal die CDU in Baden-Württemberg gerade ein Papier zur Schulpolitik verfasst hat, das kontinuierlich an die pädagogischeTradition des Kaiserreichs anzuknüpfen versucht.
Nein, „Scream“ (ach ja, die Nacherzählung des Horrorfilms von 1996 wird unter dem Begriff „Angst“ thematisch) stellt viele Fragen, hat keine Antworten, führt aber die Konsequenzen populistischer Rhetorik drastisch vor. Nach etwas overcoolem Beginn entwickelt diese Revue einen starken emotionalen Sog. Was u.a. an der starken Leistung der SchauspielerInnen liegt, aber auch an der klugen Strukturierung der Regie, der Bühnengestaltung und den Videos von Jens Dreske und den Sounds von Jonas Bolle.