Szene mit Marc Schöttner

Der heilige Krieg

Volker Schmidt: Djihad

Theater:Stadttheater Ingolstadt, Premiere:26.11.2016 (UA)Regie:Volker Schmidt

„Djihad“. Diesen Titel trägt die Uraufführung von Volker Schmidt am Stadttheater Ingolstadt. In seinen „Fragmenten“ will der Autor, der auch Regie führt, sich einem Thema annähern, das verstört und Angst macht: Junge Menschen, die der säkularisierten westlichen Welt den Rücken kehren, um in einen vermeintlich heiligen Krieg zu ziehen. Ein schwieriges Thema mit vielen Fallstricken: einfache Antworten, eindimensionale Erklärungsversuche, Schwarz-Weiß-Malerei.

Schmidt stellt drei Jugendliche aus einer Stadt irgendwo in Deutschland ins Zentrum seines Abends: Laurenz, der gerne kifft und ansonsten eigentlich keine Probleme hat. Helena, prolliges Gossip Girl, das gegen ihre Mutter rebelliert. Und Musa, der im Islam den Halt sieht, den er im Alkohol und Partymachen nicht gefunden hat. Helena ist fasziniert von Musas Klarheit, schließt sich ihm nicht nur an, sondern treibt seine Ansätze auf die Spitze. Sie geht nach Syrien, um zu kämpfen. Musa folgt ihr, will sie retten, gerät in Gefahr. Und wendet sich hilfesuchend an Laurenz, der den Weg des geringsten Widerstands gegangen ist: Er hat einen Job, der ihn nicht begeistert, eine Frau, die er nicht liebt, und bald ein Kind, das nicht geplant war. Und so überhaupt keinen Nerv, sich in Sachen hineinziehen zu lassen, die ihn nichts angehen.

Unaufgeregt verschränkt Volker Schmidt Szenen aus der Vergangenheit und der Gegenwart, springt mit großer Leichtigkeit zwischen den Zeitebenen hin und her. Die Einzelbilder setzen sich nach und nach zu einem Puzzle zusammen, das keine Antworten gibt, aber eine Ahnung, warum alles so schiefgelaufen ist. Nicht die Geschichte, sondern einfach eine Geschichte. Schmidt braucht wenig, um die Mittel des Theaters voll auszuschöpfen: Kaum Requisiten, dafür präsente und starke Schauspieler. Imagination, Verwandlung, Spiel.  

Thea Hoffmann-Axthelm hat den Schauspielern Sandra Schreiber, Marc Schöttner, Béla Milan Uhrlau, Annette Wunsch, Mira Fajfer und Ulrich Kienhorn einen Raum geschaffen, in dem sich alles auf ihre Worte konzentriert. Die leere Spielfläche wird von einem LED-Rahmen eingegrenzt wie ein Boxring. Hier treffen sie aufeinander, kämpfen und buhlen, streiten und scheitern. An einander, vor allem aber an sich selbst. An den Seiten stehen die wenigen Spielutensilien aufgereiht. Bunte Tücher werden auf den Boden gebreitet, Teppichmuster projiziert: Fertig ist der Gebetsraum. Ein großer weißer Kegel: der Spielplatz, auf dem die Jugendlichen sich begegnen. Hier gilt es, das Gleichgewicht zu finden und halten. Im Spiel und im Leben. Transparente Gymnastikbälle: Sportgerät. Wenn die Gesichter der Schauspieler darauf projiziert werden: Sinnbild. Sie alle sind Spielbälle in einem schwer zu durchschauenden Spiel, das längst Ernst ist (Video: Stefano Di Buduo). 

Volker Schmidt gelingt scheinbar mühelos, was oft so schwer ist im Theater: Eine komplexe Geschichte in Bilder zu fassen, die spielerisch leicht daher kommen und doch wohlkomponiert sind. Sich einem vorurteilsbehafteten Thema unbefangen und differenziert zu nähern, ohne oberlehrerhaft zu werden. Unaufdringlich sichtbar zu machen, was schief läuft bei uns. Tag für Tag. Ein eindrucksvoller kleiner Abend, der mehr kann als manch großer.