Foto: Pauline Werner und Sabine Martin in "Muttersprache Marmeloschn" am Theater Konstanz © Bjørn Jansen
Text:Manfred Jahnke, am 12. Dezember 2021
Es gibt Stücke, die kann man gar nicht oft genug spielen. Dazu gehört „Muttersprache Mameloschn“ von Sasha Marianna Salzmann: ein verqueres Stück zur deutschen Identität. Drei Frauen aus drei Generationen agieren hier miteinander, familiär gebunden im Nichtaussprechen dessen, was ihnen in ihrer Geschichte widerfahren ist. Lin, die Großmutter, hat als Kind den Holocaust überlebt, in der DDR dann als jüdische Kommunistin eine Karriere als Sängerin gemacht. Sie durfte als Jüdin Gastspiele im Ausland geben, musste dabei ihre Tochter Clara allein lassen. Was diese nicht verkraften konnte, wurden doch auch in der DDR Häuser, in denen Juden lebten, mit antisemitischen Parolen beschmiert. Rahel schließlich, die ihre lesbische Neigung entdeckt, geht nach Amerika, um hier ihre Identität ausleben zu können.
Männer treten in diesem Stück nicht auf. Auch wenn von den Vätern von Clara und Rahel nie die Rede ist, so spielt doch ein abwesender Mann eine entscheidende Rolle: Davie, der Zwillingsbruder von Rahel, der einfach gegangen ist und alle Beziehungen zu seiner Familie (mit Ausnahme seiner Schwester) abgebrochen hat. In einem Kibbuz in Israel versucht er seine jüdische Identität zu finden. Weil Rahel nach Amerika gehen will, klammert sich Clara an ihre Tochter und kann deren Abreise doch nicht verhindern. Lin hält sich raus und beobachtet nur, wie ihre Tochter Clara ihre jüdische Herkunft leugnet und wie ihre Enkelin Rahel um ihre jüdische Identität ringt. Aber über allen Disputen liegt das Schweigen, Lin spricht nicht über ihre Holocausterfahrungen und was sie dazu gebracht hat, Kommunistin zu werden. Von Claras Geschichte ist nichts als die Auflehnung gegen ihre Mutter zu erfahren. Allein bei Rahel werden in ihren Handlungen die Motivationen deutlich: diesem Schweigen, das auch der deutschen Geschichte geschuldet ist, zu entrinnen.
Was darunter liegt
Aber bedeutet dieses Schweigen, das jederzeit explodieren kann, nur in einem Zwischenzustand zu leben – in einem Provisorium von lauter Umzugskartons, um schnell die Flucht ergreifen zu können? Das Bühnenbild von Vincent Mesnaritsch für die Inszenierung am Theater Konstanz legt das jedenfalls nahe: Eine Menge von Kartons türmen sich auf der Bühne zu einem Gebirge. In den größeren verbergen sich Zimmer, ein in Packpapier verpacktes Sofa dominiert in der Mitte, ein weiteres links unten fällt erst später auf. Kartonlandschaften verweisen auf ihre Fragilität und Vergänglichkeit. Aber hier ist nichts vergangen. Was hier verhandelt wird, ist pure Gegenwart. Und die ist ätzend! In seiner Inszenierung rückt Abdullah Kenan Karaca, ein von Christian Stückl am Münchener Volkstheater geförderter Regisseur, der auch zweiter Spielleiter bei den Oberammergauer Passionsspielen ist, das „Zwischen“ ins Zentrum.
Es ist Clara, die zerrieben wird zwischen ihrer Mutter und ihren Kindern. Karaca treibt Katrin Huke als Clara in starke hysterische Ausbrüche, Verzweiflung äußert sich in Lautstärke. Huke wirkt herb, wo sie eigentlich ihre Liebe zu ihren Kindern ausdrücken möchte. Huke zeigt eine Frau, die immer mehr verliert, während sie versucht, es festzuhalten. Lin hingegen, am Abend ihres Lebens – am Ende stirbt sie – steht souverän über allem. Sabine Martin überspielt diese Altersweisheit zu offensichtlich selbstzufrieden. In ihrem Spiel fehlt die Tiefe, das Geheimnis ihrer Geschichte. Pauline Werner als Rahel, von Elke Gattinger in ein fürchterliches Kostüm gesteckt, hingegen huscht über die Bühne, täuscht Empathie vor, denkt aber nur an sich: Auch sie wird diesem Familiengefängnis verbunden bleiben.
Salzmann schreibt wunderbare Dialoge. Sie verschweigen mehr, als sie aussagen, sie funktionieren quasi auf zwei Ebenen. Karaca ist dabei leider eher auf der Oberfläche geblieben. Ein bisschen mehr Tiefenbohrung hätte seiner Inszenierung gutgetan.