Anna Cavaliero stößt Brian Davis von sich. Im Hintergrund steht Laila Salome Fischer.

Aus Liebe zum Detail

Claudio Monteverdi: Die Krönung der Poppea

Theater:Mecklenburgisches Staatstheater, Premiere:12.12.2025Autor(in) der Vorlage:Giovanni Francesco BusenelloRegie:Judith LebiezMusikalische Leitung:Martin SchelhaasKomponist(in):Claudio Monteverdi

Judith Lebiez inszieniert am Mecklenburgischen Staatstheater Claudio Monteverdis „Die Krönung der Poppea“. Dabei überzeugen vor allem die leidenschaftlichen Sänger:innen und das detailverliebte Orchester.

Gibt es ein süßeres, ein bittereres Opernfinale? „Pur ti miro – Pur ti godo“ singen Poppea und Nerone und besiegeln damit nicht nur einen amourösen, sondern auch politischen Pakt: Poppea wird Kaiserin von Rom, allen moralischen Bedenken und Intrigen zum Trotz. Amor triumphiert, wie er (oder sie) es am Anfang den Konkurrenzgöttinnen voraussagt: Fortuna und Virtù können einpacken.

Am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin, wo Claudio Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ von 1642 zum allerersten Mal zu erleben ist, sieht das so aus: Die beiden Liebenden werden von den Enden einer meterlangen goldenen Schleppe eingehüllt. In der Mitte steht Amor auf einer Treppe und arrangiert den goldenen Umhang wie den Hintergrund eines barocken Gemäldes. Auch wenn das Kaiserpaar mit einer Süße singt, deren Intensität beglückt, ahnt man, wie schwer das Gold auf ihren Schultern lasten wird. Zumal die Blicke Lucanos, der am Rand steht und die beiden beobachtet, den Verdacht aufkommen lassen, dass das noch nicht das letzte Wort gewesen ist. Denn mit Lucano hatte der erotisch flexible Nerone bereits im Bällebad gefummelt. Poppeas Liebes- und Machttriumph ist keiner für die Ewigkeit.

Reduzierte Bühne

Wenig braucht Regisseurin Judith Lebiez, seit 2023 Schweriner Operndirektorin, um diesen Markstein der Operngeschichte zu inszenieren, frei nach dem Geschichtsbuch. Kaiser Nero verstößt seine Frau Ottavia, befiehlt seinem Lehrer Seneca den Selbstmord, schert sich nicht um Gesetz und Würde, nur um seine Amour fou mit Poppea zu leben. Lebiez inszeniert das in der M*Halle, einem ehemaligen Industriebau, jetzt Nebenspielstätte mit 150 Plätzen.

Petra Schnakenberg hat vier Elemente in Rottönen auf die eher kleine, mehr tiefe als breite Bühne gestellt, die auf den ersten Blick wie ambitioniertere Bauklötze wirken und auf den zweiten weitere Seiten und Funktionen offenbaren – ähnlich wie die Charaktere, die erst allmählich zeigen, welche Leidenschaften und Abgründe sich noch so auftun. Schnakenberg ist auch für die tollen Charakter-Kostüme verantwortlich: Nerone schlendert im gefährlichen Nietenhalsband und androgynen Hosenanzug herum, besetzt mit Perlen, die seine Macht symbolisieren, aber auch die Tränen, die er verursacht. Poppeas Gewänder werden immer prachtvoller, je näher sie ihrem Macht-Ziel kommt.

Große Gefühle

Der Rest ist Monteverdis Psychologie und Lebiez‘ großartige Figurenführung. Allein aus Gesten und Blicken entwickeln die Sänger:innen ihre Charaktere. Wenn Nerone (der hier genderfluid bleibt, was viele Deutungsebenen öffnet) und Poppea ihr erstes Liebesgeständnis-Duett singen, dann stehen sie etwas weiter auseinander und wirken, als hätten sie Telefonsex. Wenn Sandro Rossis Ottone begreift, dass ihm nur Drusilla bleibt, schmachtet er sie in weiten Bögen und mit einem Hundeblick an, der Steine erweichen könnte. Kaum ist sie weg, bricht es aus ihm klagend hervor: Drusilla trägt er auf der Zunge, Poppea weiterhin im Herzen. Oder Noch-Kaiserin Ottavia: Gala El Hadidi singt und spielt sie mit dem Furor einer Donna Elvira. Überhaupt ist es eine Freude, zu erleben, wie Alte-Musik-Spezialist:innen und Haus-Ensemble zusammen an einem äußerst lebendigen Klang arbeiten, der historisch informiert ist, ohne sich von solchen Labeln einengen zu lassen.

Anna Cavaliero, seit dieser Spielzeit am Haus, ist eine hinreißende Poppea. Mit ihrem bestechenden Timbre jubelt sie frisch und mühelos, kann ihren so reinen Klang aber jederzeit gefährlich einfärben. Laila Salome Fischer nutzt als Nerone die Sprache als zwingendes Gestaltungsmittel am intensivsten, ist überhaupt eine zunehmend imposante Erscheinung in ihrer Wut, die sie mit ihrem glühenden Mezzo beglaubigt. Brian Davis‚ Seneca in Kniestrümpfen kann noch so sehr behaupten, dass ihm sein Tod nichts ausmacht – seine Miene und die Fahlheit seines noblen Baritons erzählen eine andere Geschichte. Eine stimmliche Urgewalt ist Federica Moi, deren Alt die schillerndsten Basstöne produziert und als Figur wirkt wie einem Almodóvar-Film entsprungen. Ein kluger Schachzug, ihre Amme mal mit einer Frau zu besetzen – das holt die Rolle aus der sonst üblichen Drag-Komik. Feine Miniaturen liefern auch Sebastian Köppl und Martin Gerke als Nerones Wachen Lucano und Liberto.

Kluge Details

In der M*Halle ist man nah dran am Klang, der oft angeraut ist, der Wahrheit der Figuren verpflichtet, aber auch immer wieder aufblüht in aller Schönheit. Das kleine Orchester mit seinen zwölf Pulten sitzt an der Seite, getrennt nur durch eine Gaze. Martin Schelhaas am Pult spielt zugleich die Truhenorgel. Faszinierend, welchen Klangreichtum er der sehr speziellen Mischung aus Alte-Musik- und romantischen Instrumenten entlockt. Besonders seltsam und verführerisch zwischen Gambe, Theorbe und Cembalo klingt die Konzertharfe. Da fächern sich irisierende Akkorde auf, malen all die Freuden der Liebe aus, unterstützen die Saiten, hart gezupft, auch mal die Continuo-Gruppe. Überhaupt hat diese Fassung ihre Meriten: Wenn allein die Orgel Senecas Todesszene einleitet, dann wirkt das so gespenstisch wie ergreifend.

Vieles noch könnte man sagen zu den klugen Details dieses Abends. Vor allem aber begeistert, mit wie wenigen Mitteln hier an einem Haus, das keine echte Alte-Musik-Tradition hat, ein musikgeschichtlich frühes Werk im wahrsten Sinne lebendig wird. Hier wirkt es wie von heute.