Lieber Chaos als Gleichschritt

Samuel Penderbayne: Kon­rad oder Das Kind aus der Kon­ser­ven­büchse

Theater:Komische Oper Berlin, Premiere:10.10.2025 (UA)Autor(in) der Vorlage:Christine NöstlingerRegie:Ruth Brau­er-­KvamMusikalische Leitung:An­ne Hin­rich­sen

Die Komische Oper in Berlin setzt ihre Reihe von Kinderopern-Uraufführungen mit der Vertonung von Christine Nöstlingers „Kon­rad oder Das Kind aus der Kon­ser­ven­büchse“ fort. Das ist optisch wie szenisch ein großer Spaß, allerdings ist die Komposition von Samuel Penderbayne unnötig krawallig.

Diese Geschichte ist nicht nur für Eltern eine Mischung aus Gruselkabinett und Traumidylle. Die Firma Himmelblau liefert auf Bestellung genormte Wunschkinder in Konservendosen: höflich, zurückhaltend, lernwillig. Dass eines Tages eine solche Blechdose mit dem oberbraven Konrad bei Frau Berti Bartolotti ankommt, ist allerdings eine Fehlzustellung. Bestellt hat die chaotische Schneiderin gar nichts, schon gar kein Kind! Das passt eigentlich nicht in ihr unkonventionelles Leben mit ihrem Zweimal-die-Woche-Freund, dem Apotheker Herrn Egon. Schnell jedoch schließen sie den siebenjährigen Konrad genauso in ihr Herz wie Nachbarskind Kitty, die ihn mit zur Schule nimmt. Bis die hellblau-beanzugten Männer und Frauen der Firma den mittlerweile ziemlich menschlich gewordenen Konrad wieder abholen und korrekt zustellen wollen…

Die Frage der Erziehungsmodelle

In ihrem gleichnamigen Kinderbuch „Kon­rad oder Das Kind aus der Kon­ser­ven­büchse“ schrieb die Österreicherin Christine Nöstlinger schon in den Siebzigern mit bissigem Humor gegen autoritäre Erziehungsmodelle an, dystopische Klon-Science-Fiction für Kinder sozusagen. Aber nicht nur dem jungen Publikum stellen sich bis heute die hier verhandelten Fragen: korrekt und pflichtbewusst handeln oder lieber doch dem eigenen Bauchgefühl vertrauen? Oder kurzgefasst: Besser ein gut situierter Apotheker wie Herr Egon – oder ein in-den-Tag-hinein-tanzendes Bohème-Dasein wie Frau Berti Bartolotti?

An­dre­ja Schnei­der als Berti Bartolotti in ihrem bunten Schneider-Zuhause. Foto: Monika Rittershaus

Mit der Vertonung durch den australischen Komponisten Samuel Penderbayne setzt die Komische Oper ihre Uraufführungsreihe literarisch adaptierter Kinderopern in großem Stil fort. Erneut stammt das Libretto von Anne X. Weber, die hier zuletzt für Franz Wittenbrinks „Die Kleine Hexe“ den pointierten Text lieferte. Penderbaynes überdeutliche Tonsprache passt zu ihren simplen Dialogen; in der Regie von Ruth Brau­er-­Kvam ist mit flotten Umbauten ein kurzweiliges Theater entstanden, das niemanden überfordert, dafür mit dem clever konstruierten Bühnenraum von Al­fred Pe­ter begeistert.

Vom Gleichschritt ins Chaos

Wir starten in der Produktionshalle der Firma Himmelblau, wo kleine Konrads (besetzt vom Kinderchor des Hauses), im Gleichschritt getrimmt und genormt verpackt werden. Die Lieferkette der Kinderdosen geht zur Wohnung von Frau Bartolotti – ebenfalls eine bühnenhohe, aufklappbare Konserve – wo sich Stoffregale bis zur Decke ranken und die Patchwork-Decken und Klamotten, die sie näht, genauso kunterbunt sind wie ihre Wände (Kostüme: Al­fred Ma­yer­ho­fer).

In der Produktionshalle der Firma Himmelblau. Foto: Monika Rittershaus

Hier swingt sich die sympathisch rau intonierende An­dre­ja Schnei­der als Berti Bartolotti durch ihren Tag, stets begleitet von jazzigen Kontrabassläufen aus dem Graben. Überhaupt vertont Samuel Penderbayne extrem plastisch, mit dick aufgetragener Ironie und markanten Stilwechseln je nach Figurencharakteristik: Ausgerechnet Nachbarin Frau Hecht (Mir­ka Wag­ner), immer um Ruhe im Haus besorgt, sprengt mit ihren hochdramatischen Fortissimo-Auftritten jede Schallgrenze. Konrads Freundin Kitty, die Elisa Maayeshi mit unfassbarer Agilität in der Höhe als herumtollendes Energiebündel gibt, bekommt Musical-Parts wie auch die choreografierten Songs des Kinderchores. Den Apotheker Herr Egon, der für Konrad spontan in die Vaterrolle tritt, gibt Phi­lipp Mei­er­hö­fer mit großer Theatralik. Und Sopranistin Hyerim Kim wird in der Rolle des kleinen Konrad zum Publikumsliebling, entwickelt sich glaubhaft von der roboterhaften Marionette (Arm steif nach vorn zum Handschlag, Bewegungen eckig) zum rollschuhlaufenden Kind.

Krachende Partitur, fette Überzeichnungen

So vergehen zwei Stunden im Flug, und bei all den Stilzitaten wird auch das erwachsene Publikum durchaus unterhalten. Zumal man sich bestens gespiegelt fühlen dürfte im Chor der Helikoptereltern (gespielt vom Vocal­con­sort Berlin), die ihre Sprösslinge fördern und fordern und doch nicht erziehen wollen („Das wichtigste Kind ist meins!“), woraufhin Lehrer Stainz (köstlich: Tho­ma Ja­ron­-Wutz) völlig labil zusammenbricht.

An­ne Hin­rich­sen arbeitet mit dem Or­ches­ter­ der­ Ko­misch­en Oper Ber­lin die krachende Wucht der Partitur heraus, Schlagzeug und Saxophone lassen die Füße mitwippen, und doch bleibt ein Beigeschmack: Bringt diese fett aufgetragene, teils wirklich krawallige Komposition Kinder näher an die Gattung Musiktheater? – Das dürfen Eltern mit ihren jungen Zuhörern selbst beantworten, am besten im Vergleich mit der aktuellen Neuproduktion an der benachbarten Deutschen Oper: Detlev Glanerts „Die drei Rätsel“ zeigt, wie es anders geht.