Michael Kupfer-Radecky (Gunther) und der Bayreuther Herrenchor

Auf dem Trockenen

Richard Wagner: Götterdämmerung

Theater:Bayreuther Festspiele, Premiere:05.08.2022Regie:Valentin SchwarzMusikalische Leitung:Cornelius Meister

Sie haben es geschafft und den ausgewachsenen Buh-Sturm überstanden. Hoffentlich ohne größeren Schaden fürs Weitermach-Ego. Valentin Schwarz (Regie), Andrea Cozzi (Bühne) und Andy Besuch (Kostüme) haben in Bayreuth ihre Version des Nibelungerings in der Ästhetik einer Familienserie zu Ende erzählt. Zumindest sind sie beim Staffelfinale angekommen. Ob das nun wirklich als die große Auflösung der vielen Pfade taugt, die sie abseits der Vorgaben von Wagner und den Traditionen ganzer Generationen seiner Interpreten einschlugen, darf man getrost weiter als offene Frage behandeln.

Wo ist das große Ganze?

Man hätte schon gerne – bevor die Serie im Wagner-TV Bayreuth zu Ende ging – einen Drohnen-Rundflug über das gesamte Anwesen gehabt, von dem man immer nur einzelne Appartements zwischen luxuriös und bieder, düster vermüllte Kellerwohnungen, Wartesaal, Pool oder Trainingshalle zu sehen bekam. Vor allem hätte man gerne gesehen, wie weit die Firma Fafner&Fasolt mit der Umsetzung des avantgardistisch (oder archaisch – oder beides) anmutenden großkotzigen Anbaus im Pyramidenlook gekommen ist. Wenn mal was nach realisierter Pyramide aussah, war es da nicht nur ein kapriziös überdachter Felsen? Wir erfahren es nicht.
 
Und dabei ist das Ganze bei Schwarz keine in dunkle Nachtalbentiefe, göttliche Lichtalbenhöhe und Erdoberfläche für Riesen und sogar Menschen aufgeteilte Sagenwelt, die die richtige Welt im Fantastischen spiegelt. Der Regisseur will vor allem die Welt einer recht schrägen Großfamilie aus der Musik erlauschen und auf die Bühne bringen. Und nimmt sich dabei jede Menge Freiheiten.
Natürlich singen auch hier alle, was sie sollen. Bei einigen von ihnen versteht man sogar jedes Wort. Wie beim exzellenten Michael Kupfer-Radecky als Guther, der schon Wotan im dritten Akt der Walküre vertrat. Zusammen mit seiner Schwester Gutrune (fulminant: Elisabeth Teige) macht er sich gerade im luxuriösen Teil des Anwesens breit.
 
Auch Christa Mayer hält wieder – diesmal als Waltraute – das Banner der gepflegten Aussprache hoch. Das nützt ihr (Waltraute, nicht Frau Mayer) aber bei ihrer Schwester Brünnhilde nichts. Und das nicht, weil Iréne Theorin, als Sängerin eher am anderen Ende der Skala, vor allem die Kunst des Vokalisierens pflegt, sondern weil sie hier, im ersten Aufzug dieser „Götterdämmerung“, vollends zur Hausfrau – und, fast typisch für diesen notorisch kinderfreudigen Ring – auch zur Mutter geworden ist. Brünnhilde und Siegfried leben hier, wo einst auch Siegmund und Sieglinde aufwuchsen, so eng mit ihrem Knirps beinander, dass für Siegfried (und Hausfaktotum Grane) mal eine Auszeit nottut.

Grane ist tot, im Swimming Pool ist kein Wasser

Für Grane endet das, noch vor Siegfried, tödlich. Sein Blut wird nicht nur für die Blutsbrüderschaft mit Gunther gebraucht, sondern sein Kopf auch als Requisit, das Brünnhilde am Ende ansingt und zwischen sich und den toten Siegfried platziert. Am Grunde des wasserlosen Swimmingpools geht sie hier nicht in Flammen auf (mit Benzin hatte sie es versucht, aber wahrscheinlich kein Feuerzeug dabei), sondern dreht in den Wahnsinn ab. Kann gut sein, dass sie sich die finalen Neonröhren hinterm schwindenden Rundhorizont nur einbildet. Also auch das musikalisch fulminante Ende?
 
Am Tatort bleiben Siegfried, Granes Kopf und eine abgedrehte Brünnhilde zurück. Hagen bringt – eher beiläufig wie alles, was der hochrespektabel singende Albert Dohmen als (in diesem Ringteil auch von Wagner vorgesehene) Heldenmörder macht – den Sohn von Siegfried und Brünnhilde offensichtlich um. Nichts mehr mit Zukunft und Macht.  Selbst wenn man dem Gang der Ereignisse bis dahin wach und mit Spannung gefolgt ist und mit mehr oder weniger Erfolg das eine oder andere Rätsel gelöst hat, mit dem Staffelfinale ist man als Serienkonsument nicht wirklich im Reinen. Da fehlt so einiges an Bonus-Material. Wenn Wotan und Alberich als Zwillinge schon im Mutterleib aufeinander einschlagen – wieso endet das Ganze nach mehreren Generationen gelebten Familienknatsches mit einem Bild, in dem diese Embryos sich einträchtig umarmen? Eigentlich kommt Wotan in der „Götterdämmerung“ nicht mehr vor. Wobei er es bei Harry Kupfer einst tat, als der um Siegfried trauernde. Also während des Trauermarschs! Man kann ihn also imaginieren, wenn man es kann! In der Logik von Schwarz hätte es eigentlich gelegen, dass wir ihm nochmal begegnen. Gerade weil es so ausbalanciert gelungen war, gewissen Ähnlichkeiten zwischen Siegfried und Hagen zu verdeutlichen, ist es schade, dass das feindliche (behauptete) Brüderpaar Wotan und Alberich in der „Götterdämmerung“ szenisch in Vergessenheit gerät. Die Videosequenz am Ende wirkt wie eine Erinnerung auf den allerletzten Drücker.

Sei es drum: vor allem im ersten Aufzug passt auch dieser Schlussteil der Tetralogie zur erzählten Geschichte. Die wie aus dem Mythos übernommenen Mannen Hagens sind als Bruch für sich genommen akzeptabel und eindrucksvoll. Das Ende im Pool weniger. Das kommt einer Bruchlandung gleich.

Vor allem die Nornen (Okka von der Damerau, Stéphanie Müther und Kelly God) raunen luxuriös, die Rheintöchter (Lea-ann Dunbar, Stephanie Houtzeel und Katie Stevens) tun ihr Möglichstes, um Siegfried am Pool aus der Ruhe zu bringen. Bei dem wirklich ganz kurzfristig von gestern auf heute aus dem Italienurlaub (für Stephen Gould und seinen ebenfalls ausgefallenen Vertreter Andreas Schager) eingesprungenen jungen Amerikaner Clay Hilley gelingt ihnen das nicht. Der macht seine Sache hochprofessionell und ist im dritten Aufzug längst auch wirklich „drin“, um sein vokales Metall funkeln zu lassen.

Ähnliches gilt für Cornelius Meister im verdeckten Graben. Auch er war ja kurzfristig eingesprungen. Steigerte sich von Abend zu Abend – sorgte für packende Momente und machte es den Sänger nicht schwerer als es im Hochsommer in Bayreuth eh schon ist.

Immerhin sind die Neuproduktionen auf dem Grünen Hügel dieses Jahres damit alle einmal durch. Samt der erforderlichen Reaktionen der Festspielleitung auf das, was das Virus immer noch anzurichten vermag. Spannend bleibt, ob sich das Publikum – wie etwa beim Vorgänger-„Ring“  – auch an diese Lesart gewöhnen wird. Viel Zeit hat die Gemeinde dafür nicht: Durch die Verschiebung wird er nur noch in zwei Jahrgängen wiederholt. Bis 2026 schon der nächste ansteht.