Ausrine Stundyte sitzt in Arnold Schönbergs Erwartung auf einem großen grauen Stein und starrt auf ihre Füße.

Schnellkurs für Wiener Moderne

Arnold Schönberg, Anton Webern, Gustav Mahler: One Morning Turns into an Eternity

Theater:Salzburger Festspiele, Premiere:27.07.2025Regie:Peter SellarsMusikalische Leitung:Esa-Pekka SalonenKomponist(in):Arnold Schönberg, Anton Webern, Gustav Mahler

Bei den Salzburger Festspielen treffen unter der Regie von Peter Sellars gleich drei Komponisten der Wiener Moderne aufeinander: Arnold Schönberg, Gustav Mahler und Anton Webern. Dabei beeindrucken vor allem die beiden Hauptdarstellerinnen und das Orchester unter Esa-Pekka Salonen. Die Inszenierung selbst verblasst dagegen.

Festspielroutine, pflichtgemäßer Applaus, Professionalität: „One Morning Turns into an Eternity“ enttäuscht nicht, hinterlässt aber keinen tieferen Eindruck. Auch Schockstücke kommen in die Jahre und Altmeister brauchen Beschäftigung. So erhält Peter Sellars in diesem Festspielsommer kein großes Opus, sondern ein synthetisches Hybrid aus dem Einakter-Monodram „Erwartung“ von Arnold Schönberg, dem ebenfalls 1908/09 entstandenen und mit einer halben Stunde fast gleichlangen Schlusssatz „Der Abschied“ aus Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ und dazwischen den revolutionären Fünf Stücken für Orchester op. 10 von Anton Webern.

Ein Streifzug also durch drei Zentralmomente der Wiener Moderne in genau 66 Minuten um eine These der im Programmheft zitierten Virginia Woolf: „Um den Dezember 1910 herum veränderte sich der menschliche Charakter.“ Von den exzessiven Aufbrüchen und Tiefenschürfungen gerade im sich rapide wandelnden Frauenbild des frühen 20. Jahrhunderts war hier allerdings wenig zu merken. Um es gleich zu sagen: Dieses Miniprogramm lohnt vor allem wegen der beiden Sängerinnen auf der Bühne, wegen des in die Inszenierung figurativ eingebundenen Soloflötisten Karlheinz Schütz und durch die Wiener Philharmoniker unter der Leitung des die Erlesenheit der Klangsuche, -findung und -reizung exzessiv einfordernden Esa-Pekka Salonen. Dazu ist die Felsenreitschule ein wunderbar suggestiver Ort. Erst recht, wenn das asymmetrische Podium von nur einem Menschen bespielt wird.

Mittelmäßige Regie

Der ehemals psychologisch scharf beobachtende und im Lauf seiner ausgedehnten Salzburger Kreativchronik immer mehr in pragmatische Szenographien abgeglittene Sellars reicherte die Gedankenspirale der in Marie Pappenheims „Erwartung“-Dichtung auf ihren bald toten Liebhaber wartenden Frau mit einer politischen Verfolgtenstory und edel schreitenden Komparsen an. Sellars‘ Metaebene gibt sich poetisch und erweist sich als redundant. Zu Mahlers „Der Abschied“ tragen Komparsen ein Sacktuch bedeutungsschwanger ab. George Tsypin setzte einige Säulen mit schwarzen Fleckenreliefs auf die eine Bühnenseite, ein Stacheldrahtgestrüpp auf die andere. Das farbigste an den schlicht schwarzen Kostümen von Camille Assaf war ihre eigene Gewandung beim Schlussapplaus.

Sellars‘ szenisch reichlich dünne Metaebene konnte der musikalischen Leistung nichts anhaben. James F. Ingalls‘ Licht mit Flutungen auf Bühnenausschnitte, schnelle Wechsel und Spots auf die Galeriebögen an der Mönchsbergseite hatten zuerst eine starke Konzentration. Diese verebbte später durch zu viele und höchstwahrscheinlich aus Angst vor Spannungsverlust gesetzte Stimmungen. Trotz der oft stillen Bewegungen wirkte es so, als ob das Produktionsteam der Wirkung der eigenen Spannungsdramaturgie misstraute – und damit auch der szenischen Wirkungsgewalt der Kompositionen.

Herausragende Hauptdarstellerinnen

Schönbergs „Erwartung“ gelang – man könnte lange Pro und Contra erörtern – fast so maßvoll wie Monologe des späten Richard Strauss. Hier zeigt Ausrine Stundyte mit einer für dieses Extremfach imponierend intakten und gesund klingenden Stimme weitaus mehr Innenspannung als eine nach außen gejagte Exzessivität. Die szenische Figur wirkt auf weite Strecken in ihren Bewegungen schon erschöpft und mit Resignation bereits wissend statt ahnend. Trotzdem: Diese beiden Frauen auf leerer Bühne machen Eindruck und hätten auch ohne Regie die Kraft zur performativen Durchschlagskraft.

Die erst kurz vor der Premiere in die Produktion gestoßene Fleur Barron darf bei Mahlers „Der Abschied“, für den Sellars in seiner Konzeption ein ganzes Metaphernbündel investiert, mehr strömen und melancholisch leuchten als die „Erwartung“-Protagonistin. Schon in Hans Bethges Nachdichtungen von zwei chinesischen Gedichten von Meng Haoran beziehungsweise Wang Wei kann man den Abschied als Abendstimmung, Lebensende oder spirituelle Transformation deuten. Das ist und bleibt hier einerlei. So entwickelt Barron spannende Kontrastwirkungen zwischen Mangel und Sättigung, Fülle und Innigkeit. Auch Esa-Pekka Salonen ist der Meinung, dass in diesen kulturell erregenden Jahren vor dem Ersten Weltkrieg alles mit allem verbunden war. Der nach einem Vers von Wang Wei aus einer englischen Übersetzung benannte Abend überzeugt vor allem als ein edles, aber unverbindliches Gebilde.