Szene aus "Die Teufel von Loudun"

Teuflische Lebensvernichtung

Krzysztof Penderecki: Die Teufel von Loudun

Theater:Bayerische Staatsoper, Premiere:27.06.2022Vorlage:nach dem gleichnamigen RomanAutor(in) der Vorlage:Aldous HuxleyRegie:Simon StoneMusikalische Leitung:Vladimir Jurowski

„Ich könnte auch kotzen“, macht sich ein Mann in der Mitte von Reihe 15 des Parketts der Bayerischen Staatsoper Luft, als sich auf der Bühne während einer nicht enden wollenden Folterszene mit Elektroschocks und Wassergüssen ein Chirurg namens Mannoury (suggestiv: Jochen Kupfer) in einen Eimer übergibt. Und weil die Umsitzenden nicht reagieren, wiederholt der Besucher es ganz laut noch einmal. Viele scheinen bei der Eröffnung der Münchner Opernfestspiele ebenfalls an die Grenze dessen gekommen sein, was man als Theaterpublikum ertragen kann, haben allerdings still gelitten. Denn was an diesem Abend verhandelt wird, geht wahrlich unter die Haut und ist eine kaum auszuhaltende Zumutung nach einer wahren Geschichte von 1634 in der französischen Kleinstadt Loudun: Die Priorin eines Ursulinenkloster, die sich vom libertinen katholischen Priester und Womanizer Granier, der sich nichts schert um das Zölibat, zurückgewiesen fühlt, erfindet eine Besessenheit durch den Teufel – in Gestalt von Granier.

Dafür instrumentalisiert sie ihre Mitschwestern, steigert sich in Wahnvorstellungen und bringt einen Prozess der machtbesessenen katholischen Kirche ins Rollen, der mit ausdauernder Folter und dem Tod des Priesters auf dem Scheiterhaufen endet (hier wird er lebendig in ein Krematorium geschoben), während Jeanne betend zurückbleibt. Auf ihren letzten Satz, während sie sein Gesicht in die Hände nimmt („Die Leute haben immer von Eurer Schönheit gesprochen. Nun sehe ich mit eigenen Augen und ich weiß, es ist wahr“) antwortet er kurz vor seiner Hinrichtung: „Seht das an, was ich bin, und lernet, was Liebe heißt“. Nach der Uraufführung von Pendereckis „Roi Ubu“ 1991 an der Bayerische Staatsoper gibt es nun – nach einem Gastspiel der Rennert-Inszenierung aus Stuttgart im Jahr 1970 – die erste Eigeninszenierung der „Teufel von Loudun“ am Münchner Haus, eine Koproduktion mit Opera Australia, Brisbane.

Aldous Huxley hat das Geschehen 1952 zu einem dokumentarischen Roman verarbeitet, auf dem die Dramatisierung von John Whiting, uraufgeführt 1961 in London, beruht. Penderecki kürzte die deutsche Übersetzung von Erich Fried und eliminiert manche von Whiting hinzugefügte Figur. Das Personenverzeichnis umfasst immer noch 19 Partien, nicht gerechnet zwölf Ursulinen, Chor und Zusatzchor der Bayerischen Staatsoper. Krzysztof Penderecki hat diese Vorlage weniger als Oper denn als Schauspiel mit Musik vertont, denn die Hälfte des Textes wird gesprochen. Manche Rollen sind reine Sprechrollen wie Bürgermeister d’Armagnac (Thiemo Strutzenberger vom Residenztheater), ein liberaler, vernünftiger Stadtrichter (Barbara Horvath, ebenfalls vom Residenztheater) und der Gerichtsvorsteher (Steffen Recks).

Faszinierendes Zusammenspiel

Da ist es eine geradezu sinnfällige und aufregende Doppelung, dass nach dem Ausfall von Wolfgang Koch, der unmittelbar vor der Generalprobe corona-positiv getestet wurde, Vater Granier von Robert Dölle auf der Bühne gespielt und gesprochen wird, während Jordan Shanahan (zuletzt ein aufregender Alberich im Herheim-Ring an der Deutschen Oper Berlin) aus dem Orchestergraben singt. Eigentlich ist Granier in drei Figuren gespalten: den mit erotisch schillerndem Bariton Singenden, den Sprechenden (und vor Schmerzen schreienden) und den geradezu stoisch Agierenden, der weder die Lippen bewegt, noch das Gesungene in Aktion übersetzt. So wird die Vielschichtigkeit der Figur aufgefaltet und jeder Zuhörer und Zuschauer muss sich in Kopf und Herz Charakter und Denken dieses Mannes zusammensetzen, der trotz Angst vor den übermenschlichen Schmerzen und langem Leiden kein Schuldeingeständnis unterschreibt.

Zunehmend gespalten ist auch Jeanne: in das, was sie spielt und singt und was sie an teuflischen Wahnvorstellungen vorspielt. Da bewegt Aušrine Stundyte, sonst ein flammender, gefährlich irrlichternder Sopran, die Lippen zu einer irrealen Männerstimme vom Band. und man fragt sich als Zuhörer irritiert: Glaubt sie das nun selber oder ist es das, was die bigotten Kleriker hören wollen, die sie verhören? Allen voran Vater Barré, Vikar von Chinon: Martin Winkler stattet ihn, mehrfach Klingsor- und Alberich-erprobt, mit einem fies geifernden Charakterbariton aus und steigert sich lustvoll in das Verhör und die Tatsache hinein, dass der Teufel vor allem im Unterleib haust.

Nicht minder feist: Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Baron de Laubardemont, Kommissär des Königs oder, kaum weniger sympathisch, Sean Michael Plumb als Prinz Henri de Condé, Gesandter des Königs. Dagegen sind Jochen Kupfer (Chirurg) und Charaktertenor Kevin Conners (Adam, Apotheker) fast ein Buffopaar, das sich gleichwohl als Handlanger missbrauchen lässt. Als von Granier geschwängerte Philippe hat Danae Kontora, die ihn im Beichtstuhl heimsucht, ein paar irrwitzige Koloraturen. Ursula Hesse von den Steinen, Nadezhda Guiltiskaya, Lindsay Ammann und Nadezhda Karyazina singen dagegen nur wenige, suggestive Sätze. Auch von den oft in Halbtonabständen, manchmal nur in Vokalisen singenden Ursulinen und dem Chor gehen suggestive Klänge aus.

Macht der Musik

Penderecki baut seine Partitur ungemein effektvoll auf von fast kammermusikalischen, oft nur von versprengten Tönen und Akkorden begleiteten ersten Szenen bis zu Verhör, Folter und Hinrichtung. Da wird das großbesetzte Orchester dann als schneidendes Tutti eingesetzt. Cluster-Bildungen, Geräuschhaftes, plötzliche Glocken-Töne, Schmerzensschreie, die aus dem Orchester tönen: All das verstärkt den Eindruck des unerbittlich über Granier hereinbrechenden Geschehens, wie auch der permanent sich drehende Beton-Kubus (Bob Cousins) mit allerlei einsehbaren Treppen um einen großen, von einem neonleuchtenden Kreuz dominierten Kirchenraum. Simon Stone inszeniert darin ein teils zeitlos brutales Geschehen, wie ja auch der Habit der Nonnen über die Jahrhunderte gleichgeblieben ist, rückt aber auch manche Szenen ins Heute, beispielsweise wenn die Schwestern sich in der Ekstase weiße Gewänder vom Leib reißen mit allerlei aufgemalten, zeitgenössischen Slogans, die man allerdings kaum entziffern kann. Auch Klerus und Stadtverwaltung trägt Kleidung von heute (Kostüme: Mel Page).

Trotz der präzisen Regie von Simon Stone geht die größte Macht von der Musik aus, von Orchester und den (Sänger-)Darstellern. Denn was – unterstützt von einer großartigen Klangregie (Sven Eckhoff) – das Bayerische Staatsorchester unter Vladimir Jurowski aufbietet an differenziertesten Klängen zwischen versprengten Instrumentalsoli, feinster Kammermusik und gewaltigen Entladungen, besitzt wahrlich Festspielniveau.

Eine Aufnahme der Produktion steht vom 29. Juni bis zum 27. Juli 2022 als Video on demand auf staatsoper.tv zur Verfügung.