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Affektstark, aber haltungsschwach

Leyan Zhang/Hans Rotman: Spiel im Sand

Theater:Bühnen Halle, Premiere:11.10.2017 (UA)Regie:Astrid Vehstedt

Das Musiktheater „Spiel im Sand“ Leyan Zhang, Hans Rotman (Musik) und Astrid Vehstedt eröffnete an der Oper Halle das Festival „IMPULS, Festival für Neue Musik Sachsen-Anhalt“.

Zur letzten Neuproduktion auf der Raumbühne „HETEROTOPIA“ von Sebastian Hannak, die, nominiert für den Deutschen Theaterpreis DER FAUST, temporär die Hauptbühne der Oper Halle bildet, gibt es nur einen Spielfokus. Es bewegt sich nicht einmal mehr die Drehscheibe, neben der das fünfköpfige Ishtar Ensemble auf der Seitenbühne sitzt. Unr ein ein Lichtkegel definiert die Spielfläche. Und vom Zwischenvorhang am Portal, hinter dem das Publikum auf der Hauptbühne sitzt, leuchten düstere Bilder zerstörter Städte.

Die Eröffnung der zehnten Ausgabe von Hans Rotmans IMPULS, Festival für Neue Musik Sachsen-Anhalt wirkt wie ein sparsameres Konzentrat der Uraufführung von Sarah Nemtsovs „Sacrifice“ im März in der letzten Saison am gleichen Ort. Hier wie dort steht die Frage nach dem „Warum“ von Vernichtungswut im Osten und Gewalt im Westen über den Kompositionen. Auch jetzt bedingt dieses „Warum“ die musikalische Faktur des Projekts.
Feiner Sand rieselt im ersten Teil aus einer Rakete, die Astrid Vehstedt drohend über der Spielfläche hängen lässt, und staubt alle Bewegungen ein. Leicht, kaum merkbar , aber unablässig verteilt er sich, dringt an alles. Nur noch nicht an die fremdartige Frauengestalt Ishtar, die anfangs klagend unter ihrer ziegelförmigen Stirnlampe dahinschreitet. Zwei islamische Bürger (Bassim Al Tyaeb und Mohammed Ayad) äußern aggressiven Unmut, den der „Kämpfer“ mit Erinnerungen an den Verlust der Iberischen Halbinsel noch mehr aufhetzt. Die von großen moralischen Worten hochgepeitschten IS-Sympathisanten attackieren einen „Fremden“ aus Spanien mit lebensbedrohender Gewalt. Dabei will dieser doch helfen.

Mit meist atmosphärisch zurückhaltenden Percussions und einigen Ariosi hat die Chinesin Leyan Zhang, Teilnehmerin an der IMPULS Masterclass 2016 für junge Komponisten, dieses dramatische Crescendo vertont. Davor schafft sie epische Distanz mit dem Solo-Prolog der Muttergöttin Ishtar (Azalee Thayer). Pia Wessels‘ Kostüme verheißen dokumentarische Deutlichkeit. Doch Astrid Vehstedts Inszenierung findet zwischen realistischer Figurenführung und etwas verlangsamter Spielmotorik im zweiten Teil keine affektsteigernde oder gar mitreißende Position. Die Spiegelung der Gewaltschübe in Ost und West verdichtet sich kaum zur Schärfe, die Aufforderung zur emotionalen Teilnahme wirkt etwas forciert.

Die erste Hälfte des pausenlosen Abends gewinnt durch die kontrastreiche Besetzung. Vor allem Bassim Al Tyaeb und Mohammed Ayad beeindrucken durch ihre energisch und sehnig bewältigten Wechsel von Aktion, Tanz und Dialogen in mindestens vier Sprachen – Englisch, Spanisch, Deutsch, Arabisch. Die Darsteller des „Fremden“ und des helfenden Opfers im Osten tauschen für den zweiten Teil ihre inhaltlichen Funktionen. Ein Zeit- und Ortssprung versetzt sie zurück nach Andalusien, dem von den islamischen Fundamentalisten soeben noch zurückgeforderten Teil Spaniens, zur Franco-Zeit um 1936. Jetzt wandelt sich der Bariton Martin Häßler vom Kämpfer zum dort „Fremden“, dem Alter Ego des im Spanischen Bürgerkrieg erschossenen Dichters Federico Garcia Lorca. Amadeu Tasca, auch er Bariton, wird vom bedrohten „Fremden“ im Osten zum machtgierigen Sergeant, der auch die Vorgesetzte gewalttätig attackiert. Das Potenzial der Kreuzung von Aggressor und Opfer in der Hallenser Besetzung wird szenisch aber kaum genutzt.

Für diesen zweiten Teil findet Festivalleiter Hans Rotman in seiner ersten Partitur für IMPULS melodische und, inspiriert von den verwendeten Lorca-Versen, poetische Klänge. Sie bekommen noch stärkere Bewegung durch einen einfachen, mutigen Kunstgriff: Es gibt keinen Dirigenten, Musiker und Sänger koordinieren ihre Aktionen im Miteinander. Im Rückblick auf den ersten Teil wirkt Zhangs Komposition, die dem Zorn keine scharfe Kontur geben will, mutlos.

Abgehackte Informationssplitter über die Bedeutung fundamentalistischer Strukturen in Teil Eins und das Auseinanderbrechen der Macht „auf ihrem Höhepunkt“ in Teil Zwei bleiben schwer zu entschlüsseln. Das liegt auch an den sehr unterschiedlichen Anlagen der Partituren Leyan Zhangs und Hans Rotmans, die keine eigenen (Unter-)Titel haben und doch als voneinander unabhängige Werke denkbar sind. Die Textfaktur bei Leyan Zhang ist lückenhaft und von aphoristischer Kürze. Im zweiten Teil artikulieren sich die vom Sergeanten gestürzte Vorgesetzte (deren Melodiebögen erfüllt Julie Martin du Theil mit stimmlichem Blühen) und der „Fremde“ mit Lorcas Worten im Verhör metaphorisch. Die Schwingungen der beiden „Verführungen zur Macht“ bleiben unentschlossen zwischen Entsprechungen und Kontrasten.

Der engagierte Einsatz des mit Sängern und performativ erfahrenen Gästen besetzten jungen Ensembles zeigt sich am Uraufführungsabend sehr homogen, was die Zuschauer, gemessen am Applaus, auch stark beeindruckt. Hier bewegt sich die Oper Halle einmal mehr auf Höhe der aktuellen Diskurse. Der Mut zu drei Vorstellungen für Jugendliche und Familien fordert Respekt. Doch sehr in die Tiefe dringen diese beiden Werke nicht. Der Affekt zählt stark, die Motorik beeindruckt, der szenischen Entschlüsselung fehlt Haltung und der bohrende Tiefenblick. Man berührt nur die Oberfläche der Spirale von Gewalt und ideologischer Gegnerschaft. Deshalb bleibt dieses klagende „Spiel im Sand“ flüchtig und vage. Schade auch, dass man die interaktiven Bewegungsmöglichkeiten der Raumbühne „HETEROTOPIA“ wenig zu nutzen weiß. Dabei wäre das ohne großen Aufwand ganz einfach gewesen.

Weitere Vorstellungen 12. Oktober, 11 Uhr (Jugendvorstellung)/14. Oktober, 11 Uhr (Familienvorstellung)15. Oktober, 15 Uhr (Familienvorstellung)