In „Lotterie“, wo die Gewinner auf Zwischenstation zur vermeintlichen Seligkeit eines Eigenheims erst mal im parzellenartig aufgeteilten Container-Raum von Elena Köhler zur Bewährung (und gegenseitigen Beschimpfung) eingesperrt sind, entflammt das Dialog-Fegefeuer an den Rändern von Psychothriller und Satire. Bei „Frauen des Krieges“ mit der verirrten Seniorin in Feindesland tätscheln sich Melodram und Soap geschwisterlich mit Volkstheater-Frohsinn, wenn die fleißigen Hände des einfachen Volkes zur Völkerverständigung geballt werden. Der unsichtbare Big Brother vom ersten Stück, der alle bangen Nachfragen ins Leere laufen lässt, kommt im zweiten als ungelenker Machtbürokrat daher und steht den am Sofa in fröhlicher Abwehrhaltung zusammengekuschelten Frauen ratlos gegenüber: „Eine von Ihnen hat die Grenze überschritten“. Ja, und nun? Die fünf Figuren sind hier wie dort Charakter-Extrakt zum Aufbrühen. In der flott vorangetriebenen Nürnberger Uraufführungs-Regie von Patricia Benecke, von der auch die Übersetzung stammt, wohl noch mehr als im Original, das bis in die Klammer-Anweisungen hinein die Stimmungslagen sehr variabel fixieren möchte. Was sich die Leute da an den Kopf zu werfen haben, soll abwechselnd zynisch, höhnisch, spöttisch, belustigt, aggressiv oder scharf klingen. Das ist in einem Text, der ansonsten die unterschiedlichsten Typen auf die gleiche Sprachebene zwingt (eine geflüchtete Frau aus der Wüste weiß zwar nichts vom Begriff „Feminismus“, fordert aber im nächsten Moment „Jetzt keine dubiosen Philosophien!“) ein wenig anmaßend.
Regisseurin Patricia Benecke setzt nicht aufs Reden, sie will spielen. Oder spielen lassen. Die Darsteller nehmen das dankbar zur Kenntnis und pumpen die Miniaturen in den erschlaffenden Momenten mit Kostproben ihrer komödiantischen Fähigkeiten auf. Das funktioniert bestens, wenn der pöbelnde Söldner-Junior und die keifende Oma (Thomas L. Dietz, Marion Schweizer) im Container missgelaunt aneinander geraten und die kultivierte „mittlere Generation“ (Thomas Nunner, Adeline Schebesch) sich spitzmündig mit Schleierblick am Gegenbild abarbeitet. Auch das Motiv der geradezu verinnerlicht strickenden, Äpfel schnippelnden, Nüsse knackenden Hausfrauen, die wie selbstverständlich von der eigenen Humanität überwältigt werden als sei mal endlich mal wieder der Heilige Geist unterwegs, passt als Basis wunderbar. Aber das wäre der richtige Beginn für ein Stück, hier ist es schon die ganze Story. Eine gutgemeinte, die keine „Löcher in die Seele bohren“ will, wenn es doch mit der Anordnung von Versöhnungs-Gesten so viel einfacher geht.
In Big Brothers Warteraum ist das geradezu prototypisch gelöst, da hat jeder Kandidat zu Beginn seinen Müllbeutel mit Requisten bekommen und wenn alle vom Schimpfen ermattet sind, finden sich darin überraschend die zueinander passenden einzelnen Zutaten zur entspannenden Tea-Time. Zucker, Zitrone, Wasser, Becher – jeder zieht staunend eine andere Kostbarkeit aus dem Sackerl bis es passt. Ob das als Plädoyer für Gemeinsinn durchgeht oder eine gruppendynamische Vision von „Abwarten und Tee trinken“ sein soll, kann der Zuschauer auf dem Heimweg überlegen. Da haben die Eigenheim-Träumer allerdings bereits erfahren, dass sie statt der erhofften Häuser wahrscheinlich nur fünf Zäune bekommen werden. Weitere Grenzen, über die man zweifellos sprechen muss – durchaus bohrend.
Der Premieren-Beifall war freundlich, die angereiste Autorin verbeugte sich auch vor dem Ensemble. Das sah sie ganz richtig.