Constantin Hochkeppel

Performer und Manager

Constantin Hochkeppel ist kein Choreografen-Insider, sondern kommt vom Physical Theatre. Als neuer Tanzchef am Stadttheater Gießen tritt er seine erste Leitungsposition an – und will mehr Sprache in den Tanz integrieren.

In der Tanzsparte am Stadttheater Gießen startet mit Constantin Hochkeppel eine neue Generation. Intendantin Simone Sterr hat sich für einen Neuling entschieden, nicht für einen mittelalten Chefchoreografen aus dem Postenkarussell. Hochkeppel kommt vom Physical Theatre, aus der freien Szene und ist Jahrgang 1990: Rheinländer und mit gut portioniertem Humor.

Gastweise war er schon in Stadt- und Staatstheatern tätig: in Karlsruhe, Moers, Kassel. Doch ahnte er nicht, auf wie viel Neues er sich einzustellen hatte seit seinem Dienstantritt in Gießen im Herbst 2022. „Ich bin erst drei Monate da, und es fühlt sich an wie fünf Jahre“, sagt er lachend. Er scheint die Herausforderung mit Neugier anzunehmen, mit Pragmatismus und einem Sinn für die Verantwortung, die er für sein Ensemble und sich nun zu tragen hat. Vor allem die ganze Kommunikation im Haus sei nicht leicht: „Wie viel da geredet werden muss! Ich bin zwölf, dreizehn Stunden täglich im Theater. Ich dachte, es wird ein bisschen entspannter als in der freien Szene“, sagt er.

Den Posten in Gießen hatte vor ihm zwanzig Jahre lang der Choreograf Tarek Assam inne. Die Arbeit des Folkwang-Studiengangs Physical Theatre beobachtete die designierte Intendantin Simone Sterr schon lange und wurde so auf Constantin Hochkeppel aufmerksam. Sie nahm Kontakt zu ihm auf und traf ihn nach einer Vorstellung von „keep on survivin’“ seiner freien Gruppe KimchiBrot Connection. „Mir war klar, dass wir mit dem Tanz in Richtung Physical Theatre steuern, uns vom neoklassischen zeitgenössischen Ballett verabschieden und ein Ensemble aufbauen wollen, das sich zwischen Tanz und Schauspiel eng berührt“, begründet Simone Sterr ihre Wahl. Hochkeppel schien da genau der Richtige zu sein: klar in seinen künstlerischen Vorstellungen, aber noch sehr neugierig, neue Formen und Verbindungen auszuprobieren. „Constantins Sprache ist sehr nah dran an einer Erzählung, die die Tänzer:innen als Akteur:innen und Erzählende fordert und einbindet. Das ist Input für die Entwicklung, die wir hier in den nächsten Jahren angehen wollen.“

Bewegung, Sprache, Objekte, Humor und Botschaft

Als sie ihn später anrief und ihm den Chefposten anbot, erbat er sich Bedenkzeit. „Natürlich hätte einiges schiefgehen können“, sagt Hochkeppel. Er hat großen Respekt von diesem Job: als Manager, der das Ensemble zusammenhalten muss, und als künstlerischer Leiter, der zwei Stücke pro Spielzeit macht. Doch er konnte sich Freiheiten im Spielplan aushandeln – für lange Stückentwicklungszeiten. Glücklich ist Hochkeppel auch über seine Stellvertreterin und Dramaturgin Caroline Rohmer, die ihre Erfahrungen aus freier Szene und Stadttheater einbringt. 

Constantin Hochkeppel

Constantin Hochkeppel, Leiter Tanz, Stadttheater Gießen, Dez 2022

In Hilden geboren, ging Hochkeppel schon als Fünfjähriger tanzen und entdeckte mit acht Jahren das Theaterspielen. Die Familie zog nach Langenfeld, wo der Schüler in eine Theater-AG ging sowie im nahen Düsseldorf in den Jugendclub des Schauspiels. Ein Agent engagierte ihn für „ein bisschen Film und Fernsehen“. Der Abiturient fand sich in Hamburg wieder, tanzte an einem Privattheater und fuhr herum mit dem Plan, Schauspiel zu studieren. „Irgendwas mit Bühne machen!“ Sein Tanzen war für ihn „semiprofessionell“, 2010 wurde er Mitglied in der kurzzeitig existierenden Juniorcompany am Tanzhaus NRW.

Keinen Erfolg hingegen hatte Hochkeppel bei Vorsprechen, zu faul sei er bei den Vorbereitungen gewesen. Zufällig hörte er von dem Studiengang Physical Theatre an der Folkwang Universität der Künste in Essen und schwärmt noch heute von der Aufnahmeprüfung ohne viel Vorgaben. Diesmal ackerte er vorher. Aus achtzig Bewerber:innen für vier Studienplätze wurden am Ende diejenigen ausgewählt, die sich in einer Pizzapause angefreundet hatten. „Magisch!“ Die vier Jahre Studium empfand Hochkeppel als eine tolle Zeit. Schon im dritten Jahr formierte er mit einer Kommilitonin die KimchiBrot Connection, die inzwischen eine Konzeptionsförderung des Landes NRW erhält. Das Label fasste schnell Fuß in der regionalen Theaterszene. Daneben war und ist Constantin Hochkeppel Teil der renommierten performing:group: mit viel Bewegung, Sprache, dazu Objekte, Humor und Botschaft.

„Integrativ” arbeiten

Diese Einsätze ruhen jetzt, aber als Performer aufzutreten möchte Hochkeppel nicht aufgeben. Momentan fehlt die Zeit fürs Training. Was unterscheidet eigentlich Physical Theatre, früher Bewegungstheater genannt, vom Tanz oder Tanztheater? – „Tanztheater integriert schon lange das Sprechen und vieles, das übers Tanzen hinausgeht“, so Hochkeppel, deshalb sei es dem Physical Theatre ähnlich. Aber was er auf der Bühne sehen wolle, das sei eben Letzteres: „Neben virtuosen Körpern Elemente aus dem Schauspiel: Narration und Situation, Rollen, Figuren, Text. Diese in Verbindung zu bringen mit Bewegungen, Tanz und den Bildern, die Körper kreieren können.“ Noch sei er mit seinem Ensemble auf dem Weg, ausgebildeten Tänzerinnen und Tänzern ist Sprechen auf der Bühne meist fremd. Jeff Pham allerdings hält zu Beginn von Hochkeppels erstem abendfüllenden Stück „where we are (at)“ einen langen Monolog über den traurigen Zustand des Planeten, während er unangestrengt über Zuschauersitze klettert. Dennoch spielt er danach nicht die Hauptrolle. Die hat niemand im Stück, und die will auch Hochkeppel selbst nicht, sondern lieber „integrativ“ arbeiten. Hier auf der rotierenden Bühne haben alle nur wenig markante Szenen, was kaum reicht, um Profil zu erlangen. Ein Handmikrofon hilft beim Spiel mit „Was wäre, wenn“-Sätzen. Die in Slow Motion gefangene Tischgesellschaft äußert einzelne „Ös“, „Ähs“, „Hihis“. Solche Elemente mit gekonntem Timing für den komischen Effekt setzte Hochkeppel auch in „Tipping Points“ ein, seiner eigenen freien Produktion von 2022 über eine kleine, etwas sprachgehemmte Männermannschaft zwischen mobilen Wasserspendern.

Constantin Hochkeppel

Constantin Hochkeppel, Leiter Tanz, Stadttheater Gießen, Dez 2022

Und seine jetzige Compagnie? Die meisten Mitglieder der bisherigen Gießener Truppe ließ er entscheiden, ob sie bleiben wollen. Drei wollten, sechs neue wurden per Audition ausgewählt, Arbeitssprache ist Englisch. Aus der vorherigen Tanzcompagnie Gießen strich Hochkeppel die „Compagnie“. Sein Ensemble solle näher an die anderen am Theater rücken: Tanz Gießen. Die Spielzeit eröffnete denn auch die spartenvereinende „Posthuman Journey“. „Ente, Tod und Tulpe“ für Kinder brachte Ensemblemitglieder aus Musik, Tanz und Schauspiel zusammen. Wegen der obligatorischen Trainings der Tänzer:innen ist Gemeinsames aber nicht leicht herzustellen.

Theater für Stadt und Umland

Für den ersten Tanzspartenabend fand Hochkeppel kurzfristig Maura Morales, deren „Phaidra“ ihn begeistert hatte. Seine eigene zweite Produktion widmet er der Trauer: „Five Stages of Grief“ wird eine Art Stationendrama im gesamten Theatergelände, samt Orchester und Chor. „Immersion“ ist seine Idee, um Verlust und Trauer als Teil des Lebens begreifbar zu machen, der „etwas Schönes, Tröstendes werden kann“. 2022 inszenierte Hochkeppel in Köln im Auftrag der Comedia das Jugendstück zu Édouard Louis’ Buch „Das Ende von Eddy“: ein eindringliches Schauspielduett. Den Wer-bin-ich-Kämpfen des schwulen Unterschichtskindes Eddy fügte er den Kindheitswunsch der auf der Bühne agierenden Schauspielerin Sibel Polat hinzu: Sonnenstudios fürs Aufhellen von Haut.

Die Theaterpädagoginnen der Comedia arrangierten über einen Verein Treffen mit Kindern in einem wenig schicken Kölner Viertel. Dabei wurde Hochkeppel sich seiner eigenen gesellschaftlichen, chancenreichen Bubble bewusst. Stimmen der Kinder kamen ins Stück. „Vermittlung ist uns sehr wichtig“, sagt er über Gießen, will alle einladen und Theater für die Stadt und ihr Umland machen. In der Tanzsparte führte er zudem „physical introductions“ ein, bei denen auch Zuschauer:innen zum Bewegen gebracht werden. Die sind stets ausgebucht. Es läuft. 

Constantin Hochkeppel, geboren 1990 in Hilden, leitet seit dieser Spielzeit die Sparte Tanz am Stadttheater Gießen. Er ist Physical-Theatre-Darsteller sowie Theatermacher, Choreograf und Mitbegründer der Kölner Physical-Theatre-Compagnie KimchiBrot Connection, deren Stücke mehrfach preisgekrönt sind. Nach seinem Physical-Theatre-Studium an der Folkwang Universität der Künste in Essen choreografierte und inszenierte er u. a. am Staatstheater Kassel, am Badischen Staatstheater Karlsruhe, am Schlosstheater Moers, der Jahrhunderthalle Bochum und dem Maschinenhaus Essen. 

 

Dieser Artikel ist erschienen in Ausgabe 03/2023.