Torsten Ranft

„Es muss explodieren können”

Mit Konsequenz, Energie und ein bisschen Glück wurde aus dem gescheiterten Schauspielschüler Torsten Ranft ein erfolgreicher Theaterkünstler. Seit 15 Jahren steht der Leipziger im Staatsschauspiel Dresden auf der Bühne.

Angemessen dramatisch beginnt der Weg. „Lieber Torsten Ranft“, heißt es in dem Brief, den der werdende Schauspieler nach dem zweiten Studienjahr an der „Hans Otto“-Hochschule im heimatlichen Leipzig bekommt, „wir wünschen Ihnen viel Glück auf dem weiteren Lebensweg – aber dieser Beruf ist nichts für Sie.“ Der Schock war groß, die Katastrophe aber auch absehbar – mit dem zentralen Ausbilder, dem damaligen Leiter der Hochschule, kam der Student nie richtig aus; dermaßen „zugemacht“ habe ihn der Dozent, körperlich und psychisch, dass er irgendwann nur noch alles falsch gemacht habe. Nach dem regelmäßigen Armeelager für die Studierenden in Seelingstädt bei Gera wurde Torsten Ranft angekündigt, dass er das dritte Szenenstudium mit diesem ungeliebten Chef zu absolvieren habe – da hat er revoltiert und wurde verpfiffen. Schluss, aus, fertig in Leipzig – Zeit für die Flucht: an das damalige Thomas-Müntzer-Theater nach Eisleben.

Dort also begann die Karriere: als Eleve – und als Winnetou. In einem Jahr, das – sagt Torsten Ranft heute – wirklich „schlimm“ gewesen sei, habe ihm keines der Kinder, die ihm da zugesehen haben, den Häuptling der Apachen jemals auch nur ansatzweise abgenommen: „Ich war sehr schmal damals, ganzkörperbraun angemalt und trug einen hellgrünen Lederanzug.“ Da haben ihn die lieben Kleinen überwiegend ausgelacht. Tatsächlich hat ihn dieses Erlebnis aber zu einem Kraftakt der besonderen Art getrieben: Er hat noch einmal den kompletten Vorgang der Bewerbung durchlaufen, diesmal an der „Ernst Busch“-Hochschule in Berlin. Und dort war er plötzlich willkommen, bei Ulrich Engelmann, Peter Schroth und Peter Kleinert. Jetzt gehörte er auch zu Heiner Müllers „Lohndrücker“-Ensemble am Deutschen Theater; jetzt, im zweiten Anlauf und nach dem Abstecher zu „Winnetou“, hatte das Theaterleben erst richtig begonnen.

Durchbruch mit „Woyzeck“

Torsten Ranft, geboren kurz vor dem Mauerbau 1961 und ein Spätling unter vielen Kindern eines Leipziger Kinderarztes, der seinerseits schon 70 war, erzählt auch vom Drama, von der Last der Kindheit: „Die Startrampe ins Leben war der Tod“; immer lebte die Familie in Angst um den Vater. Und dass Kirche und Religion eine große Rolle spielten im Elternhaus, machte die Sache nicht besser. „O Haupt voll Blut und Wunden“ war der Grundton im Hause, „von fünf bis fünfzehn gab’s immer nur Bach, Bach und noch mal Bach“. Die Reaktion des Kindes kam prompt: „In meinen jungen Jahren war ich nicht zu beherrschen – das war nicht schön. Aber jetzt bin ich ein sanfter Wütender geworden!“

Aber hilflose Wut und Jähzorn waren gebündelt in jener Zeit; lange meinte Ranft auch, sich abzuarbeiten am Vater, ihn womöglich gar „nachspielen“ zu müssen, um „loslassen“ zu können. So ist er wohl auch darum kein wirklich einfacher Zeitgenosse geworden, auch nicht im Theater; dabei hat er jedoch erstaunlich viel Glück gehabt. Schon beim zweiten Beginn, als ihn der Regisseur Peter Ibrik (der im August vorigen Jahres gestorben ist) nach Frankfurt an der Oder empfiehlt, ist alles anders – und das Engagement wird (so sagt Ranft heute) zur „Quelle“ für den Weg seither. Jörg Bochow, jetzt Chefdramaturg am Staatsschauspiel in Dresden, ist damals Teil des Frankfurter Teams und holt sowohl Ranft als auch Bernd Michael Lade; Leander Haußmann kommt als Gast und inszeniert „Kabale und Liebe“, auch Frank Castorf arbeitet hier, und Andreas Kriegenburg zeigt die ersten Arbeiten, deren Fortsetzung bald darauf an der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zum Durchbruch für den Schauspieler Ranft führt: als „Woyzeck“ wird er in Kriegenburgs Inszenierung ausgezeichnet, noch bevor Castorf das Haus übernimmt. Er bleibt – und steuert eines der herausragenden Profile bei in jener ersten, wilden Zeit an der stilprägenden Bühne im alten Osten der Hauptstadt.  

Torsten Ranft

Torsten Ranft © Sebastian Hoppe

So viele sind schon tot – gerade etwa starb die Schauspielerin Heide Kipp. Doch die Erinnerung bleibt, Ranft erzählt von Winfried Wagner oder Gerd Preusche; und auch privat meldet sich die Vergangenheit – gerade hat Torsten Ranft Post von der Tochter bekommen. Die heißt Josefine Israel, ist am Schauspielhaus in Hamburg engagiert und schickte ein Foto – da probt sie gerade mit Magne Håvard Brekke, bei Christoph Marthaler in Hamburg; als Baby hat auch Brekke das Theaterkind „Finchen“ immer mal wieder auf dem Arm gehabt: in der Volksbühne selig.

Riskante Produktionen mit Castorf

Auch an Jon-Kaare Koppe erinnert sich Ranft, jetzt eine Stütze im Potsdamer Ensemble, sowie an Claudia Michelsen und Meral Yüzgüleç, beide sehr bald nach den ersten Jahren an der Volksbühne ganz und gar hinübergewechselt ins Geschäft mit der Film- und Fernsehkamera. Wenn Ranft gelegentlich schöne Arbeiten im fremden Medium angeboten werden, bleibt das immer nur nebenbei: „Wenn’s mal gut ist, ist es fast wie Theater“; und: „Nur beim Film wär ich unglücklich geworden.“ Beim Fernsehen sowieso.

Torsten Ranft war, blieb und bleibt Theatermensch, fast pur. Der ersten Station, der „Quelle“ in Frankfurt an der Oder, folgt die nie vergessene Zeit an der Volksbühne. Die endet übrigens wieder im Schock, wie beim Rausschmiss des Studenten an der Hochschule in Leipzig. Er werde es jetzt „sehr schwer“ haben, wird Torsten Ranft mitgeteilt, als Regisseur Kriegenburg das Haus verlässt. Umgehend ruft der Schauspieler einen Frankfurter Bekannten an: Leander Haußmann, dessen Zeit als Intendant in Bochum gerade begonnen hat. Ob er wohl schnell dorthin wechseln könne, fragt Ranft. Natürlich, habe Haußmann geantwortet – und als dann in Bochum Schluss war, stand schon Klaus Pierwoß aus Bremen bereit. Der räumte ihm sogar ein Jahr Pause ein, bevor das neue Engagement beginnen sollte – und wieder kam Ranft für vier Jahre an. Zwei weitere in Hannover folgten, bei Wilfried Schulz – mit ihm ist er dann nach Dresden gegangen. Jetzt ist er demnächst, nach fünfzehn Jahren, unkündbar: „Schon wieder sind so viele Jahre rum, und ich bin 62 – um Gottes willen. Hilfe!“

Kreise haben sich geschlossen; etwa mit dem einstigen Frankfurter Partner Jörg Bochow. Und der, meint Ranft, ist ein prima Gegenüber zum Intendanten Joachim Klement, den Ranft schon bei Pierwoß in Bremen kennen und schätzen lernte. Jetzt reicht der Vertrag mit dem Haus, das beide leiten, noch bis ins beginnende Rentenalter. Aber ob er dann aufhören wolle? Eher nicht – im Dresdner Ensemble, das er sehr liebt, wird auch das Alter geschätzt: „Die Dinge klingen doch anders auf der Bühne, wenn die Menschen alt sind.“ Auch persönlich stimmt gerade alles: Partnerin Beate Rohde hat mit der „Treberhilfe“ in der Stadt eine erfolgreiche „Straßenschule“ gegründet; und das mag den Schauspieler Ranft intensiv an die Zeit erinnert haben, da er sich an der alten Volksbühne für Ratten 07 engagierte, das Theaterprojekt von Obdachlosen und für sie. Im Spielplan des Staatsschauspiels ist Ranft derweil sehr präsent, auch und gerade in riskanten Produktionen, mit dem altem Kumpan Castorf oder dem neuen, Sebastian Hartmann – „So ein Luxus“, sagt Ranft, „so eine Beglückung!“ 

Virtuosität und Kraft

Das sei immer so gewesen – immer wenn eine Phase der Stagnation eingetreten sei, gab es auch spektakuläre Neubegegnungen, „wo es wie neu losging – und ich war wieder wie berauscht“. Mit Hartmann „hab ich den Beruf wieder von einer anderen Seite gesehen“, dank der großen Freiheit, die der Regisseur allen gibt. Er, Ranft, tue sich ja ein bisschen schwer, wenn alles streng verabredet ist. Stattdessen hat er große Lust, „während des Abends selber zu stricken – man geht raus, der Puls ist hoch, man hat immer Premiere“. Dabei hat Torsten Ranft auch das Zeug zum Fundamentalisten des Schauspielhandwerks, will etwa nie Soufflage brauchen … „Und ich steh drauf, dass ich gut zu hören bin.“ Virtuosität und Kraft ist ihm wichtig. „Und das ist meine eigene Entscheidung.“

Torsten Ranft © Sebastian Hoppe

Einen „guten Riecher“ habe er wohl auch gehabt, sagt Ranft im Rückblick: „Für Türen, die zugehen, und Türen, die gerade aufgehen.“ Im Gespräch beschwört er große Wegweiser – Jürgen Flimm etwa, der ihn zweimal zur Ruhrtriennale einlud, Wilfried Minks in Hannover oder Johann Kresnik in Bremen. Dort entstand ein biografisch-politisch-choreografischer Abend über den Maler Heinrich Vogeler, der ihn, den Schauspieler, in die völlige Erschöpfung trieb, nicht nur, weil er fast den ganzen Abend über eine von Kresniks Tänzerinnen auf dem Rücken trug, durchs Stück und durch Worpsweder Torf; ganz in Rot gekleidet war sie und als „Kommunismus“ eine schwere Last: „Da hab ich mich am Ende verbeugt, und es war nix mehr in mir drin – es gab nie wieder jemanden, der mich so sehr zur Stille gebracht hat. Ich konnte nicht mehr reden, war still und glücklich.“ 

„Es muss explodieren können auf der Bühne!“

Energie wie die von Kresnik hat Ranft immer gemocht, und er fordert sie ein: „Wer unten sitzt und Regie führt, soll sich zu erkennen geben.“ Wie Kresnik, wie Castorf, wie heute Hartmann – dann können die Proben gern auch „einfach dilettantisch anfangen – das wird schon was. Ich könnt immer gleich losmachen.“ Nicht improvisieren, aber „sich reinstürzen ins neue Abenteuer“, auch mit Wut, auch mit Hysterie, manchmal sogar mit dem alten Jähzorn: „Es muss explodieren können auf der Bühne!“ Dafür sei der Schutzraum Theater doch da. 

Und das Publikum? „Das hat eine Energie, die ich auch brauche! Ich kann Leute ganz gut zum Lachen bringen – aber auch zum Schweigen!“ Eine kleine Fangemeinde folgt ihm in Dresden; immer wieder hat er sehr persönliche, zugewandte Reaktionen aus dem Publikum erlebt, schon damals in Berlin nach „Woyzeck“ oder Ernst Tollers „Hinkemann“, den Inszenierungen von Andreas Kriegenburg. Sich selber sieht Ranft dabei eher als tragikomisches Talent: „Ich mag’s, wenn ich die eigene Seele einbringen kann, auch die Biografie – da ist dann eben nicht nur der Text auf der Bühne, sondern ein tiefer Unterbau.“ Auch den hat er gebraucht für die jüngste Arbeit mit Hartmann. Die Premiere von „Vernichten“ nach dem Roman von Michel Houellebecq lief am 27. April. 

Dürfen wir uns Torsten Ranft, das (mittlerweile) Dresdner Urgestein, also als glücklichen Menschen vorstellen? „Irgendwie schon.“ Tochter Josefine in Hamburg besucht er, wenn möglich, zu Premieren, und sie besucht ihn; zumindest wird telefoniert. Wenn er einen Wunsch frei hätte? „Mit ihr zusammen würde ich gern mal spielen.“

Torsten Ranft, geboren 1961 in Leipzig, gehört seit der Spielzeit 2009/10 zum Ensemble des Staatsschauspiels Dresden. Er absolvierte seine Schauspielausbildung an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Engagements führten ihn nach Frankfurt (Oder), an die Volksbühne Berlin, das Schauspielhaus Bochum, das Theater Bremen und das Schauspiel Hannover. Zuletzt spielte er in Dresden „König Lear“ (Regie: Lily Sykes) sowie Paulini in „Die rechtschaffenen Mörder“ (Regie: Claudia Bauer) nach dem Roman von Ingo Schulze. Seine jüngste Premiere: „Vernichten“ nach Michel Houellebecq (Regie: Sebastian Hartmann).

 

Dieser Artikel ist erschienen in Ausgabe 05/2023.