Bild auf einer Kölner Parkbank

Krisentagebuch 2: Hörtheater

Die Theater streamen, was das Zeug hält, und das ist natürlich auch richtig. Doch, ehrlich gesagt, ich komme kaum dazu, mir etwas davon anzusehen. Unser Heft und unsere Homepage müssen neu justiert werden, das nächste Heft der jungen bühne umgebaut, die Aufarbeitung der Werkstatistikdaten für die (noch voll ausgespielte) Saison 2018/19 geht gerade in die Schlussphase. Und wie sieht es aus mit den Anzeigen, warum funktioniert heute die Telefonkonferenz nicht, welche freien Mitarbeiter brauchen besonders dringend einen Auftrag? Wie kann überhaupt das nächste Heft ohne Kritiken aussehen, wie lange wird die Pause gehen und welche Zukunft hat das soziale Konzept Theater ganz grundsätzlich?

Vielleicht ist es aber nicht nur der Zeitmangel – allerdings sind auch die Kinder rund um die Uhr zuhause und tatsächlich genieße ich das intensive Zusammensein (bislang) mit Lesen, Turnen, Spazierengehen, Essen, Backen und Reden aus vollen Zügen -, vielleicht glaube ich auch nicht (mehr) so ganz an das Konzept eines digitalen Theaters. Ich bin davon überzeugt, dass die Corona-Krise das Arbeitsleben in Richtung zu mehr digitalen Arbeits- und Kommunikationsformen beschleunigen wird. Dass die Zukunft des Theaters im social distancing liegen kann, kann ich mir dagegen nicht vorstellen.

Ein Hörvideo hat mich heute morgen aber dann doch sehr begeistert. Anlässlich von Friedrich Hölderlins 250. Geburtstag am 20. März hat das Hamburger Thalia Theater eine kurze, improvisiert wirkende Lesung Jens Harzers aus „Hyperion“ eingestellt: „… eine Nacht unserer Seele und kein Schimmer eines Sterns…ich sah nun still und einsam vor mich hin…die Menschen, wenn sie mich nicht zwangen sie zu sehen, sah ich nicht…“

Harzers Lesung ist ein Gedicht: Dieser Schauspieler lässt sich ein auf die emotional überquellenden Worte Hölderlins, ohne sich selbstverliebt davon wegtragen zu lassen. Das ist ein großes Hörtheater.

Der humanistisch gebildete, weitblickende und zugleich schmerzaffine, pathetische Dichter Friedrich Hölderlin ist doch eigentlich der Dichter des Moments. Doch wir sind nicht eingestellt auf ihn und seine Töne. Im Hölderlin-Jubiläumsjahr spielt er als Dichter oder Übersetzer (von Sophokles‘ „Antigone“ und „König Ödipus“) kaum eine Rolle in den Spielplänen der Theater. Wir alle, auch die Theater, sind auf existenzielle Krisen nicht wirklich vorbereitet. Die Klimakrise ist zwar seit einigen Monaten als drängendes politisches Thema in der Theaterwelt angekommen. Das hat aber dann doch – noch – nichts mit schwerer Krankheit und Sterben zu tun. Vor lauter Aktionismus und Engagement auf allen medialen Kanälen, was ich hiermit überhaupt nicht schlecht machen will, hatten wir keine Zeit für Auseinandersetzungen um Leben und Tod. Und nun sind wir gezwungen zum sozialen Fasten. Das ist schwierig, birgt aber vielleicht die Chance, uns auf pathetische Dichtung einzulassen: online und möglichst bald wieder auf den Bühnen oder in alternativen Spielstätten.

Diese künstlerische Auseinandersetzung wiederum kann Kraft geben, für den Umgang mit den – ökonomischen – Unbilden der Gegenwart, für den Blick auf gesellschaftliche Fehl-Entwicklungen im Ganzen, für ein Theater, das dringend gebraucht wird.